Sonntag, 21. Februar 2016

Das Asthmaspray von Wiedenbrück.






Nach sechzig Auftritten zu zweit sind wir ab sofort zu dritt. Wiki darf mit. Luna findet, sie hat den schwarzweißen Knallkopf für seine ersten drei Lesungen hervorragend geschult: In Erkrath pieselt er in die Buchhandlung; in Hückeswagen frisst er die Schokoherzen aus der Auslage; in Attendorn begleitet er Gästinnen aufs Klo.

Auch danach fügt sich dieser kleine Hund ganz prächtig ins Bühnenleben. Dreimal beißt er zu: einmal Teppich, zweimal Schuh. Siebenmal benimmt er sich wie eine offene Hose wegen Sesamgrissini und ähnlicher Leckereien. Ein Video von einem Butterkotzevorfall wird im Laufe des Jahres zum Lesungs-Hit. Wer Wiki eben noch auf dem Schoß hatte, wird umgehend blass angesichts des Beserkers im Bild und des Originaltons über Bluetooth-Lautsprecher. Der Giftpilz lümmelt derweil im Backstagebereich und schnaubt: „Was denn, ihr Pfeifen?!“


Alzey

In Alzey tauchte urplötzlich ein fremder Hund im Saal auf, worauf mir mitten im Text die Gesichtszüge entgleisten. Zum Verständnis: Wenn man auf einer hellen Bühne steht und liest und einen großen Hund durch den dunklen Zuschauersaal streifen sieht, und wenn man denkt, es sei der eigene große Hund, weil der ja der einzige große Hund hier ist, und wenn man sich dann umdreht und sieht, dass der eigene, einzige große Hund direkt hinter einem auf der Bühne liegt, und wenn man sich daraufhin erbleichend fragt „Wenn meiner hinter mir liegt, wer ist denn dann der da unten?“, und wenn man unlängst neunhundertachtzig Euro und vierzig Cent für eine Schlägerei unter Schäferhundmix-Damen bezahlt hat, und wenn all diese Gedanken innerhalb von wenigen Zehntelsekunden im Hirn detonieren – – – –  dann braucht man schon mal Herztropfen.

In meine beginnende Schockstarre hinein informiert mich Angela, die Veranstalterin, dass Cedric, der Hund, ihrem Freund Walter, dem Wirt, gehöre und selber gerne Löcher in andere Felle mache, im Grunde aber ein begnadeter Hündinnenversteher sei, ich könne Luna also gerne Bekanntschaft schließen lassen, es werde schon nichts passieren. 

Und genau das passiert dann auch: nichts. Cedric steht nicht einmal auf, als die erboste Luna ihn endlich im Saal gefunden hat.
Sie: „Was machst du auf meiner Lesung, du Pfosten?!“
Er: „Mir gehört die Kneipe, Schatz.“
Sie: „Na gut.“

Singen

Während der Signierstunde verschwindet Luna spurlos. Ich sehe noch aus den Augenwinkeln, wie sie die Treppe ins Erdgeschoss hinuntertrabt. Auf meine beiläufige Frage, ob das Geschäft denn auch abgeschlossen sei, versichert mir die Buchhändlerin, da müsse ich mir gar keine Sorgen machen, die Tür sei zu, es käme garantiert keiner rein. Erst zehn Minuten später – Luna ist noch nicht wieder aufgetaucht – habe ich die Aussage zerebral verarbeitet. Siedendheiß durchfährt mich ein fürchterlicher Gedanke: Keinerkommtrein heißt noch lange nicht, dass auch keiner rauskommt.

„Alles gut“, beruhigt mich die Chefin. „Die Schiebetür ist im Notausgangsmodus. Die öffnet sich nur über einen Drucksensor. Da muss man aber schon mehr als dreißig Kilo wiegen, um den auszulö …“ Den Rest warte ich gar nicht mehr ab. Ich sprinte ins Erdgeschoss, latsche auf den Auslöser, schieße durch die Automatiktür ins Freie und sehe gerade noch, wie achtunddreißig Kilo Luna die Hegaustraße entlang spazieren – unangeleint, unbeleuchtet, unvermummt.

Butzbach

Ich kann meine Hunde nicht sehen. Sie sind zwischen den Zuschauerreihen verschwunden. Dafür kann ich sie umso lauter hören. Sie versauen mir mit ihrem Fiepen, Jiepern und Jaulen mindestens zehn Pointen. Ich schnippe. Ich pfeife. Ich rufe. Sie kommen nicht. 

Seufzend gehe ich nach dem Rechten sehen. Der Anlass ihrer Erregung sind drei Krauses in der vorletzten Reihe, die direkt nach einem langen Trainingstag in die Lesung gerannt sind und fast eingehen vor Hunger. Sie haben sich Brezeln und einen Countryburger mitgebracht. Den verzehren sie in konsequenter Krausemanier direkt vor den großen, hungrigen Augen meiner zwei Hunde. Fassungslos schauen Luna und Wiki zu, wie die Beute bis auf den letzten Krümel im Trainermund verschwindet.

Ludwigshafen

„Die vierundachtzig!“Wir sind bei Thomas Bingen und seinen Rheinauenwölfen eingeladen. Die Lesung findet mitten im Wald im Naturfreundehaus statt. Man treffe sich schon um sechs und esse noch eine Kleinigkeit, hat Thomas am Telefon gesagt, ich könne mir aber ruhig Zeit lassen, die Lesung gehe erst um acht los.

„Fünfundachtzig, bidde!“Als wir eintreffen, liegen vor den Gästinnen und Gästen kleine Zettelchen mit Nummern. Alle fünfzehn Minuten ruft der Koch eine Zahl ins Mikrofon. Dann kann ein Schnitzel abgeholt werden. 

„Sechsundachtzigisfertig!“Ich schaue auf die Uhr. Es wird knapp. „Siebnunachsig!“Um viertel vor neun meint Thomas, es sei vielleicht besser, schon mal mit Lesen anzufangen. Wer weiß, wie lange hier noch gekocht werden müsse. 

„Pommesjägerachtundachtzig!“Es ist unsere erste Lesung, bei der während des Vortrags duftende, heiße Schnitzel serviert werden. Luna und Wiki sind völlig fertig mit den Nerven. Vor lauter Sabbern vergessen sie, in meine Texte hineinzubellen, leichtsinnig abgestellte Handtaschen aufzubrechen oder sich von den anwesenden Kindern ins Koma streicheln zu lassen. Sie tropfen und werden beinahe ohnmächtig. Dennoch verhalten sie sich vorbildlich. 

„Sechsundneunzig!“ Für den einzigen Tumult des Abends sind die Zweibeiner verantwortlich. Die Sechsundneunzig wird vor der Neunundachtzig serviert. Totaler Aufruhr!

Wiedenbrück

Behutsam zieht Wiki mit seinen feinen Zähnchen den Reißverschluss der Handtasche auf und klaut der allergiegeplagten Dame das Asthmaspray. Im Mai! Die Luft ist voller Birken- und Lindenpollen. Zu dritt versuchen wir, den Kleptomanen einzufangen, um ihm das Medikament zu entreißen.

Ein Satz aus einem Vortrag von Dorit Feddersen-Petersen kommt mir in den Sinn: „Hunde können eins ganz hervorragend: beobachten und wissen, mein Gott, der ist ja in einer ganz schlichten Tagesform.“ Sie hat so recht, denke ich, während ich albern gestikulierend durch die ganze Buchhandlung meinem Hund hinterher stolpere.

Heidenheim

Luna legt einem Herrn in der ersten Reihe treuherzig den Kopf auf den Oberschenkel und bettelt ihn an. Ein probates Mittel, um auf Lesungen die Futterautomaten im Publikum in Gang zu setzen. Das funktioniert immer tadellos. Nur heute nicht! Der Angeschmachtete guckt ungerührt zurück und sagt: „Nein, du kriegscht nix. Du bischt hier bei den Schwaben.“Später erfahren wir von einer Dame, ihr Hund sei im Wald von einem Reh umgerannt worden. Schwaben ist ein mörderisches Pflaster.

Reinheim reloaded

Liebe Luna, wenn man vor so einem liebenswerten, hundeverrückten, vergnügten, äppelwoitrunkenen Kracherpublikum lesen darf wie wir in Reinheim, dann stellt man sich um dreiundzwanzig Uhr nicht vor hundert Leuten mitten auf die Bühne ins Scheinwerferlicht und – – – gähnt!

Kärnten

Eine kleine, sonnige Lesereise führt uns über den Bodensee nach Tirol und Kärnten. Am Bodensee steigt ein Marder zu. Er beißt so geschickt in den Turboschlauch, dass dieser erst fünfhundert Kilometer später kurz vor Villach platzt. 

Ich spreche ein ernstes Wort mit meinen beiden Angestellten. Marder vergrämen steht eindeutig in ihrem Arbeitsvertrag. Wiki redet sich heraus und behauptet, er hätte ausreichend ins Auto gepupt. Der Marder müsse unter Nebenhöhlenkatarrh gelitten haben, anders sei nicht zu erklären, warum ihm entgangen ist, dass es sich bei unserem Bulli um ein Hundeauto handelt. 

Diese Haltung kann ich so nicht stehen lassen. Mir fehlt da der Biss. Auf einer kleinen Bergwanderung legen wir in einem Zielvereinbarungsgespräch eine neue Vergrämungsquote fest. Daraufhin schlürft Luna heimlich das Wasser aus den Vertiefungen der Kuhfladen, wartete geduldig, bis es im Bäuchlein rumort, und setzt drei Stunden später unter dem Beifall ihres nichtsnutzigen Kumpels einen riesigen Fladen auf die Bühne. Sieht ganz so aus, als wären sie mit der neuen Quote nicht einverstanden.

Reichelsheim

Ute Heberer lädt uns zu einer Lesung in ihr Tierheim TiNO ein. Da sie sich außerstande sieht, ihre Räumlichkeiten von Hunden zu befreien, performen wir in einem etwas größeren Wohnzimmer, in dem sich hundert Leute, dreißig Hunde, Claudia Ludwig mit ihrem Fernsehteam sowie ein umfangreiches kaltes und warmes Buffet befinden. 

Dreißig Hunde auf unserer Lesung?! Luna ist so geschockt, dass sie sich hinter mich legt und einschläft. Der Einzige, der an diesem Abend das Krawallmausfähnchen hoch hält, ist unsere soziopositive Schmusebacke, die bisher noch nie Probleme mit anderen Hunden hatte. Wiki beschließt bereits beim Buffetaufbau, dass das gesamte Essen ihm gehört. Blöderweise kommen dauernd Leute und nehmen ihm etwas weg. Manche füttern sogar ihre Hunde mit Häppchen von seinem Buffet! Wikis Nerven liegen blank. Er wird an diesem Abend in fünf Schlägereien verwickelt.


© Michael Frey Dodillet | Die Krawallmaustagebücher 2016 | Herrchentrubel 2016

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