Donnerstag, 17. Oktober 2013

Otto (2).





Er hat es tatsächlich überlebt. Alles! Die Facebook-Abstimmung, die Autorenbedenken, die erste, zweite, dritte Manuskriptfassung der „Toskanamänner“, das Lektorat, die Titelkonferenzen, die Redaktion, die Coverdiskussionen. Otto ist eine ganz harte Sau. Zum Dank darf er im siebten Kapitel den allergrößten Schaden anrichten:

Am Ende der Via Roma stießen sie auf einen kochenden Rudi. Er lehnte am Bulli, schwenkte einen Bund Frühlingszwiebeln und fauchte: „Das waren die teuersten Zwiebeln meines Lebens!“
Markus, dem klar war, dass Shoppen in Siena für den Geldbeutel nicht dasselbe war wie Einkaufen in Heerdt, fragte behutsam: „Wieviel denn?“ 
„Hundertsiebzig Euro!“

„WAS????“



„Hundertsiebzig Euro!“
Rudi schnippte wütend eine strohhalmdünne Kippe über den Asphalt.
„Einszwanzig für die Zwiebeln und einhundertneunundsechzig Euro für einen schwarzen Trüffel. Und diesen Pillerarsch da ...“, er zeigte auf Otto, der auf dem Bürgersteig saß und so interessiert den Rinnstein betrachtete, als handelte es sich um ein offenes Glas Pfälzer Landleberwurst, „... den kannst du morgen Mittag gleich mit in die Suppe tun. Der ruiniert mich.“

Dabei hatte sein kleiner Einkauf so erfreulich angefangen. Während Otto ein sienesisches Mäuerchen nach dem anderen mit seiner Markierung versah, entdeckte Rudi in der Auslage eines Tabakgeschäfts ein schmales Zigarettenpäckchen, das ihn in Null Komma Nichts in seine Jugend zurückkatapultierte. Als er mit vierzehn das erste Mal rauchte, kostete eine Zehnerpackung Camel eine Mark. Man konnte die Zigaretten sogar einzeln kaufen. Obendrein verschenkte so gut wie jeder Düsseldorfer Tabakladen schmale Probepäckchen, um die Leute auf den Geschmack zu bringen. Drei oder vier Zigaretten waren meistens drin. Rudi konnte es kaum fassen. Genau diese schmalen Päckchen fand er hier in Siena wieder. Es gab sie immer noch. Nach über dreißig Jahren! Es stand zwar nicht Camel darauf, sondern MS Slim, aber das machte Rudi nichts aus. Für ihn als Schmalspurraucher war das genau die richtige Packungsgröße. Er kaufte drei Päckchen und marschierte anschließend in den Lebensmittelladen auf der anderen Straßenseite, um nach den Frühlingszwiebeln zu fragen.
Beim Bezahlen zeigte ihm die Besitzerin stolz ein großes Glas mit Trüffeln. Tuber melanosporum stand auf dem Glas, schwarze Trüffeln aus Umbrien, darunter handgeschriebene Zahlen, vermutlich die Gewichte der aromatischen Knollen. Sie öffnete das Glas und ließ Rudi schnuppern. Rudi liebte den köstlichen, dumpfen Duft der Trüffeln und ihre schwarzviolette Farbe. Trüffeln waren ehrlich und erdig, fand er. Sie hatten, bis auf den Preis, so gar nichts Abgehobenes. Die Frau nahm die dickste Kugel aus dem Glas und reichte sie Rudi über den Tresen. Wie eine Rakete war Otto zwischen den beiden hindurchgeflogen, hatte sich das Ding geschnappt und war damit quer über den Campo in die Via Salicotto abgehauen.

„Ein Riesengeschrei kann ich euch sagen!“, stöhnte Rudi, während er in den Bulli stieg und sich neben Grazia auf die Rückbank fallen ließ. „Die arme Frau wurde erst ruhiger, als ich ihr meine EC-Karte über die Theke schob. Hundert Gramm kosten 164 Euro. Du meine Fresse, der Oschi hatte etwas über einhundert Gramm! Und das Allerschlimmste: In diesen schlanken Zigarettenpäckchen sind nicht vier normale Kippen drin wie früher, sondern zwanzig! Zwanzig!!! Zwanzig hauchdünne Frauenzigaretten, die nicht wesentlich dicker sind als ein Zahnstocher. Sie zerfallen zu Asche, wenn sie das Feuerzeug nur sehen. Einmal ziehen, zisch und weg! Von dem Dreck habe ich jetzt sechzig Stück in der Tasche. Es ist ein Elend.“
„Es kommt noch dicker“, sagte Markus. „Wir haben Mitte Juni.“

„Was hat das damit zu tun?“, fragte Rudi.

„Im Juni gibt es keine schwarzen Trüffeln mehr. Da gibt‘s nur Sommertrüffeln. Die hat dir einen Sommertrüffel als schwarzen Trüffel verkauft.“

„Na und? Trüffel ist Trüffel.“

„Nicht ganz. Die Sommertrüffeln kosten nur einen Bruchteil. Da bekommst du hundert Gramm schon für zwanzig Euro.“

Thomas knallte die Schiebetür zu, direkt vor der Nase des tobenden Rudi, der unbedingt nochmal in den Lebensmittelladen wollte, um direkt mit den Inhabern zu sprechen. Markus lenkte den Bus zur Stadt hinaus. Erst hinter dem Ortsschild hat sich Rudis Blutdruck soweit gesenkt, dass er sich auf der Rückbank lang machen und den Kopf in Grazias Schoß legen konnte. Sie strich ihm über die Haare.
„Hmmm“, machte er und schloss die Augen. „Das ist schön.“

Nach einer Weile hob er den Kopf und rief nach vorne: „Ich bin komplett abgebrannt jetzt. Könnt ihr mir etwas leihen für den Rest der Tour? Zu Hause muss ich erst einmal einen neuen Job an Land ziehen. Oder die Barreserve im Schreibtisch aufbrauchen. Mal sehen.“
„Beunruhigt dich das nicht?“, fragte Ben.

„Nein“, sagte Rudi. „Das hatte ich schon öfter. Es ging immer gut aus.“ 
„Vielleicht zahlt ja Ottos Haftpflicht?“

„Ich habe keine Quittung“, sagte Rudi. „Und die passierten Tomaten habe ich auch vergessen.“
Kurz hinter San Quirico d‘Orcia hörte Markus seltsame Geräusche aus dem Heck des Bulli. Nicht schon wieder, dachte er verzweifelt. Es darf nichts kaputt gehen. Vorne nicht und hinten nicht. Der Turboschlauch hat gereicht. Der Bus muss halten, bis wir wieder in Düsseldorf sind.
„Was ist das für ein komisches Geräusch da hinten?“, fragte er. 
„Was für ein Geräusch?“, fragte Rudi zurück.

„Na, dieses Wup-wuup-wuuup?“

„Ach das“, sagte Rudi. „Otto kotzt.“
„Bah!!!“, rief Ben, der in der zweiten Reihe saß und gerade noch seine Schuhe wegziehen konnte. „Der reihert mir den kompletten Trüffel vor die Füße und jede Menge undefinierbares Zeug.“
„Kriegt man das aus dem Teppichboden wieder raus?“, wollte Markus wissen.
„Das ist gar kein Problem“, beruhigte ihn Rudi. „Gib Otto eine Minute. Dann frisst er alles wieder auf.“
„Er macht was???“

„Er pfeift sich den Haufen rein, ohne eine Spur zu hinterlassen.“ 
„Ach du Sch ...“

„Das riecht aber streng jetzt.“

„Erbrochener Trüffel ist nicht der Würzpilz, wie ich ihn kenne.“ 
„Ich esse auf absehbare Zeit keine Trüffelpasta mehr.“
„Das ist ja widerlich.“

„Bekommt ihm das denn?“

„Wieso gibt er dem Trüffel überhaupt eine zweite Chance?“

„Weil er hundertsiebzig Euro gekostet hat, du Hirsch! Dafür kann er den ruhig fünfzigmal auskotzen und fressen.“

„Wären drei Euro pro Mahlzeit.“

„Dann hat es sich wenigstens gelohnt.“

„Aber er hat ihn ja offensichtlich beim ersten Mal schon nicht vertragen.“ 
„Die arme Sau.“

„Wer? Der Trüffel?“

„Der Hund.“

„Wieso knurrt er jetzt?“

„Er bewacht den Haufen.“

„Da kennt er nix.“

„Als wäre es kostbar.“

„War es ja auch.“

„Vorher vielleicht. Jetzt ist es einfach nur Kotze!“

„Kotze ist für Otto nur ein anderer Aggregatzustand von Gourmetküche.“


© Michael Frey Dodillet | Die Krawallmaustagebücher 2013




Für die Feinheiten der saisonalen Trüffelpreisgestaltung 
ergeht ein gepflegter Dank an Andreas Frank von den Kochzivilisten
Die Toskanamänner erscheinen im Frühjahr 2014 bei Heyne.







9 Kommentare:

  1. Wunderbar, Mensch! Ich hoffe, Wi- Otto signiert die Toskanamänner, wenn sie denn dann erscheinen (;

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Es ist jedenfalls geplant, dass Wi- Otto zu den Lesungen mitkommen muss.

      Löschen
  2. Mist. Schon wieder ein Buch, das ich bestellen MUSS.
    Nachdem ich mich über deine anderen so köstlich amüsiert habe, ist dies ja auch ein MUST-HAVE.
    Aber bloß nicht eingebildet werden. Es geht wohl eher um den süßen Otto, als um die Männer. Sorry - und nein ich bin nicht feministisch. Nur hundevernarrt. :-)))
    Herzliche Grüße
    Manou

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ein bisschen um Männer (und Frauen) geht es aber schon. Das Buch heißt ja nicht „Der Toskanaotto“.

      Löschen
  3. Oh, Mann, du schaffst es immer wieder, Lust auf mehr zu machen. Freue mich schon auf nächsten April. Werde rechtzeitig vorbestellen. LG Hilla und Luna

    AntwortenLöschen
  4. Oh man, ich habe wieder köstlich gelacht und Fynn (mein Hund) hat mich doof angeguckt *g*

    Verstehe ich dsa richtig das Otto jetzt der dritte Hund von dir ist? Luna (oder auch Fräulein Rottmeier) und Wiki und nun Otto? Und das Klappt? Kann ich mir fast nicht vorstellen ;)

    LG
    Kevin

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Herrchenjahre und Herrchenglück sowie alle handelnden Hunde und Personen waren mitten aus dem Leben. Die Toskanamänner hingegen sind frei erfunden. Otto auch.

      Aber irgendwo gibt es einen Otto. Da bin ich ganz sicher.

      Löschen
  5. Ah okay, danke für die Richtigstellung. Ich freue mich aber schon auf neues von den beiden, also Luna und Wiki. Gruß Kevin, ein bravhunde Halter ;)

    AntwortenLöschen

Krawallkommentare sind verboten. Es sei denn,
sie kommen von euren Hunden. :o)