Dienstag, 3. Februar 2009

Eddie the Beagle.




So ein Beagle gehört zum Knuffigsten, was auf vier Pfoten läuft. Er ist gesellig, aufgeweckt, temperamentvoll und zum Fressen knuddelig. Ich möchte ihn nicht geschenkt haben.


Drei Jahre ist es her. Unser kleiner Kurs trifft sich einmal pro Woche am Jaberg. Alle Hunde kennen sich aus der Welpengruppe, sind knapp ein Jahr alt und  – wie üblich in dem Alter – schwer erziehbar.


Emma, ein Irgendwas mit Amstaff drin, das vom Tierheim als Irgendwas mit Labbi drin annonciert wurde, weil Labbi immer gut weggeht; Mokka, eine braune Minimischung, die nur poppen will; Hn-hn-hn, ein Schnauzerchen, dessen Name mir entfallen ist; ein Schäferhund-Mix mit kettenrauchendem Frauchen; Luna mit mir, sie damals schon hoch explosiv, ich mittlerweile Nichtraucher; unser Trainer mit seinen zwei Malinois und ein bis drei Pflegehunden, in der Regel Todeszellen-Kandidaten, die kurz vor dem Einschläfern stehen, weil sie Herrchen zwar in den Poppes gebissen, vom Amt aber Gnadenfrist bekommen haben und sich jetzt bessern dürfen | können | sollen | wollen.

Travis, der jüngere Malinois, findet Luna so schick, dass er sie zur Begrüßung anpinkelt, um den anderen Jungs zu signalisieren: Die Puppe gehört mir. Luna schmachtet ihn an. Sie hat eine Schwäche für goldkettchentragende Machos. Zarte, ahnungslose Jugend. Würde Travis sie heute markieren, könnte er sein Testament machen.

Wir durchqueren bei Wind und Wetter Wald und Wiesen, um unseren Hunden unter kundiger Anleitung Grund-gehorsam beizubringen. Das klappt mal recht, mal schlecht. Alle zittern vor der Abschlussprüfung. Die wird am Düsseldorfer Hauptbahnhof stattfinden und Übungen beinhalten wie „Hund vor den Pressekiosk legen und für fünf Minuten um die Ecke verschwinden“ und „Hund auf den Bahnsteig legen, hinter dem Brezelstand verstecken, kreischender Zug fährt ein, Reisende wuseln herum, Hund muss liegenbleiben“ und „Hund hinlegen, dicke Bratwurst kaufen, Bratwurst vor der Nase platzieren, Bratwurstessen verbieten, nach zwei Minuten Bratwurstessen erlauben, happs“.

Um es vorweg zu nehmen: Das schaffen die im Dezember jenen Jahres alle. Ohne Ausnahme. Der Trainer ist ein guter Typ. Wenn man mit seiner Schandschnauze zurecht  kommt, kann das Arbeiten mit ihm sogar angenehm sein. Manche seiner Sprüche sind grenzwertig. Dann starren wir ihn alle irritiert an, so als hätte er mit hochroten Ohren eine riesige Kaugummiblase gepustet und nach dem Knall wäre die Blase noch da, aber der Kopf weg. Wer mit ihm läuft, braucht ein dickes Fell.

Frau Murzin, zierlich, unschuldig, Porzellanteint, hat eins. „Du, Frau Murzin, es gibt nur eines, was noch schlimmer ist als ein Beagle, und das ist ein Beagle-Besitzer.“ Womit wir bei Eddie wären, Eddie the Beagle.

Eddie the Beagle kommt in unseren Kurs, obwohl Beagle nicht aufgenommen werden. Wie Frau Murzin das schafft, ist mir noch heute ein Rätsel. Der Trainer hat nämlich ein Geschäftsmodell, das nicht beaglekompatibel ist: 440 Euro Flatrate und dafür so viele Unterrichtsstunden, bis das Kursziel erreicht ist. Bello Normalhund erreicht das in durchschnittlich 25 Stunden. Mit einem widerspenstigen Beagle übt man 40 Stunden Grundgehorsam und wenn es dumm läuft, fängt man in der einundvierzigsten wieder von vorne an. Meistens läuft es dumm, deshalb sind Beagle im Kurs nicht erwünscht, weil der Meister draufzahlt. (In der Schule unserer Kinder hieße das Ausgrenzung von Minder-heiten und zöge umgehend einen Krisenelternabend nach sich.) Eddie ist trotzdem da. Eines milden Sommertages steht er mit seiner Frau Murzin an unserem Treffpunkt am Waldparkplatz: „Tag, wir sind die Neuen.“

Meine Lieblingsnormannen bei Asterix heißen Pifpaf, Klammeraf und Ganzbaf. Das gehört nicht hierher, muss aber mal aufgeschrieben werden.

Eddie hat ein Problem. Er hört schlecht und macht, was er will. Ihm geht es ganz gut damit, Frau Murzin weniger. Frau Murzin möchte uns etwas eingehender erläutern, was es damit auf sich hat, kommt aber nicht weit. Der blaue Bulli unseres Trainers pratzt auf den Parkplatz, das Alphamännchen springt mit seinen fünf Hunden raus und winkt uns grußlos hinter sich her. Wir folgen über die Wiesen. Frau Murzin bringt ihren Satz nicht zu Ende. Was nicht weiter tragisch ist, weil Eddie 400 Meter später selber zeigen will, worum genau es geht.

Nach 400 Metern dreht Eddie nämlich um. Er hat etwas in der Nase. Dem muss er nach. Rehwitterung? Kann sein. Dann kommt ihm ein Blümchen unter den Rüssel. Dufte. Und was ist das da drüben? Oh, ein Schmetterling. Nix wie hinterher. Eddie wird immer kleiner. Jetzt begrüßt er 200 Meter weiter hinten andere Hunde. Einen, zwei. Plötzlich eine neue Spur. Muss ein Maulwurf sein, vermutlich drei Meter unter der Erde, riecht aber trotzdem gut. Heititei, was für ein schönes Wetter aber auch. Guten Tag, Hund. Und wo er schon mal dabei ist: Tag Hundehäufchen, Tag Vogel, Tag Zwitschern, Tag Wurm, Tag Schnecke, Tag Klee, Tag Dreiwochenaltehasenspur. Eddie, seit zwei Minuten auf Zickzackkurs, ist mittlerweile nur noch daumennagelgroß. Die letzte Bekanntschaft, ein hopsender Spatz, führt ihn zurück auf Los: Er erreicht wieder den Parkplatz und sucht dort nach weiterem Zeitvertreib.

Frau Murzin schmettert derweil in allen Tonlagen „Eddie! Eddie!“ über die Wiese, und der Trainer läuft blaurot an.

„Ich sage dir jetzt verdammtnochmal, warum du einen Beagle hast. Du wolltest einen geselligen, pfiffigen, süßen Hund. Ja Scheiße, den hast du jetzt. Dein Beagle ist zu gesellig. Weil er ein Meutehund ist, in dessen Genen alles steckt, was man braucht, um zusammen mit Kumpels auf eigene Faust erfolgreich Wild zu hetzen. Dein Beagle ist zu pfiffig. Er hat eine Wahnsinnsnase. Der geht er nach. Das ist ein Trieb. Weißt du, was ein Trieb ist? Das kennst du von deinem Geschlechtsverkehr, Frau Murzin. Irgendwann kommt der Punkt, da gibt es kein Zurück mehr. “

Kaugummiblasenblick unsererseits.

„Dein Beagle ist zu süß. Und weil er so süß ist, traust du dich nicht, ihn zusammenzustauchen. Habe ich einmal, nur ein einziges Mal ein klares Eddie! Nein! von dir gehört? Natürlich nicht. Immer dieses windelweiche Och Eddie, nö, ne, das kannst du doch nicht machen, Eddielein. Himmel, Arsch und Zwirn, weißt du, Frau Murzin, es gibt nur eines, was noch schlimmer ist als ein Beagle, und das ist ein Beagle-Besitzer.“

Wir anderen kennen und schätzen – mal mehr, mal weniger – diese Brandreden. Frau Murzin trägt es tapfer, begeht aber den schweren taktischen Fehler, mit naivem Augenaufschlag anzukündigen, sie gehe Eddie jetzt holen.

„Holen? Holen??? Einen Scheiss machst du! Du läufst deinem Hund doch schon ein halbes Jahr hinterher. Das hört ab sofort auf. Ich mache das. Travis, John, mitkommen!“

Sie machen sich zu dritt auf den Weg – ein kochender Trainer und zwei schwanzwedelnde Malinois – um einen vergnügten Eddie einzufangen, der immer noch selig am Horizont entlanghüpft.

Neben gesellig, pfiffig und süß ist Eddie noch etwas: nicht doof. Er weiß, dass ein Mensch, der sich harmlos pfeifend und beiläufig murmelnd an ihn heranmacht, nur eines im Sinn haben kann: ihn anleinen! Anleinen ist in den Augen eines Beagles Freiheitsberaubung und wird mit Ausweichen nicht unter 15 Metern bestraft.

Das Tänzchen beginnt. Eddie saust um seine Widersacher herum und zwischen ihnen hindurch, verschmäht lockende Futterbrocken und jedwede Spielaufforderung, knurrt mal hier und bellt mal da. Ein beeindruckendes Schauspiel, das wir aus sicherer Entfernung im Breitwandformat genießen dürfen. 44o Euro für Grundgehorsam sind ein strammer Kurs, da will man was geboten kriegen.

20 Minuten lang kriegen wir das auch. Dann lässt sich Eddie überlisten. Offensichtlich riecht die Fleischwurst so spektakulär, dass er jede Vorsicht fahren lässt. Zack, hat ihn der Trainer am Wickel. Siegesgeheul der Verfolger, Protestnote des Delinquenten. Alle vier verschwinden hinter der Hecke Richtung Parkplatz.

Was wird geschehen? Werden jetzt alle vier abhauen? Kommt Eddie ins Gefängnis oder ins Heim? Wird er auf dem Parkplatz erschossen? Von der Beagle-Polizei? Darf die das überhaupt? Und wird Frau Murzin Öch nö, ne sagen? Schalten Sie auch nächste Woche ein, wenn es wieder heißt: Eddie the Beagle – Ihr könnt mich mal kreuzweise.

Um es kurz zu machen: Alle vier kommen wieder, drei grimmig, Eddie fröhlich. Und das, obwohl er jetzt eine fiese Erziehungsmaßnahme am Hals hat, buchstäblich. Er zieht eine 15 Meter lange Schleppleine hinter sich her, die er für den endlosen Rest seines Gehorsamskurses nicht mehr los werden wird.

Wenn ich an Eddie denken, denke ich an Schleifgeräusche. Jede Kursstunde ein Seiltanz. Erst wuselt ein Eddie durch die Gruppe, dann schlurft und schlängelt das Endlosband hinterher. Wann immer er zu einem seiner berüchtigten Ausflüge ansetzt, tritt Frau Murzin auf die Schleppleine. Gelegentlich tappt auch einer von uns anderen darauf, aus Versehen. Das führt dann zu einem halben Überschlag und einem erbosten Eddie-Blick: Was denn, du Pfeife? Ich mach‘ doch nix.

Mit der Zeit verlieren wir den kleinen Kerl aus den Augen. Luna ist einen Tick schneller mit dem Kurs fertig als Eddie, so circa 12 bis 18 Monate. Später erfahren wir, dass auch Eddie seine Abschlussprüfung auf dem Düsseldorfer Hauptbahnhof geschafft hat. Mit Bravour.

Bei Eddies Bratwurstdiplom allerdings kommt es zum Eklat. Die wüste Prügelei unter den Kandidatinnen und Kandidaten hat aber nicht Eddie zu verantworten, sondern der verfressene Labrador neben ihm. Ein klassischer Fall von Ressourcenverteidigung.

Alle Hunde liegen in einer Reihe. Jeder starrt auf seine Bratwurst, die er nicht fressen darf. Alle sabbern, einer denkt. Der Labbi. Labbis denken immer. Ans Essen. Er denkt, wenn ich das Kommando nicht abwarte, sondern einen Frühstart hinlege, dann kann ich mir zuerst die Bratwurst meines linken und dann die Bratwurst meines rechten Nachbarn reinpfeifen und zum Schluss meine eigene, und dann habe ich nicht eine, die wäre ja für den hohlen Zahn, sondern drei, und das macht wenigstens insoweit satt, dass ich auf dem Nachhauseweg nicht zusammenbreche, genug gezaudert, es geht los.

Happs links.
Happs rechts.
Happs Mitte.
Zack! Schlägerei!
Frau Murzin: „Och Eddie, nö, ne?“
Trainer: „Du, Frau Murzin …“





In Memoriam Marco Lau.





© Michael Frey Dodillet | Die Krawallmaustagebücher 2009




3 Kommentare:

  1. 2 Kommentare

    GAST
    Lieber Mensch,
    ich wollte nur mal loswerden, dass ich diesen Blog fantatstisch finde, bin selbst Begleiterin einer Krawallmaus (bereits seit 8 Jahren, keine Sorge, es wird nicht besser) und kann jede Hilfe dabei brauchen, unsere Spaziergänge mit Humor zu sehen, statt mich innerlich kochend, mir aber natürlich äußerlich nichts anmerken lassend (haha) jeden Tag den Herausforderungen zu stellen, die mir meine Dame so bietet.

    Habe all meine Hunde-Bekannten (sind leider nicht allzu viele, versteht sich) schon auf die Seite hingewiesen und wir freuen uns sehr über jede Fortsetzung. Vielelicht wird ja mal ein Buch daraus?

    Viele Grüße, MW
    Mittwoch, 11. Februar 2009 - 12:46


    MENSCH
    Hallo MW,

    ja, Humor ist so ziemlich unsere einzige Waffe im Kampf gegen die Widrigkeiten des täglichen Waldspaziergangs. Ich freue mich, dass du nach 8 Jahren noch lachen kannst. Wir Krawallmaus-Inhaber dürfen eines nie vergessen: Fühlen wir uns geehrt, dass wir solche Hunde haben. Das Schicksal hat uns zusammengeführt. Botschaft von oben: Was uns zugemutet wird, wird uns auch zugetraut.

    Ein Buch ist in Planung. Ich habe Luna in den letzten Wochen darauf abgerichtet, Verlegerhunde anzurempeln. Mit dem Dummy klappt das schon ausgezeichnet. Sie hat nur noch keinen Verlegerhund getroffen. Jetzt üben wir sicherheitshalber Literaturagentenhunde-Mobbing. Im Oktober jage ich sie in Frankfurt mal durch die Buchmessehallen. Wäre doch gelacht, wenn man da nicht ins Gespräch käme ...

    Was daraus wird, erfährt der treue Blogleser – wie immer – als erstes.
    Mittwoch, 11. Februar 2009 - 22:11

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  2. Seit Juni in ich ebenfalls Begleiter einer Krawallmaus. Einzig diese Berichte lassen mich noch aufrecht die Gassimeilen entlangmarschieren.

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  3. Analog Deines "teuer-intensiv-Kurses" mußte unser Krawallmäuserich im zarten Alter von 5 Jahren auch nochmal ran an den Erziehungsspeck. Die geglückte BH-Prüfung war schon Geschichte, aber das Hundehirn strotze weiterhin sowas von weiteren Erlebnissen, die noch erlebt waren oder immer wieder erlebt werden wollten.......
    Nun denkt er - vorher - doch etwas mehr nach, ob er es denn macht, was er grad witziger Weise machen möchte, was Frauchen aber garantiert nicht gefallen würde. Aber glaubt ja nicht, das das das Ende ist........und ist die Gruppe noch so groß und "bunt" gemischt, unser Krawallmäuserich "ragt immer noch heraus" und die anderen Büchsenöffner denken garantiert noch lange Zeit an diesen einen Hund zurück....
    Ihr Beide würdet ein gutes Team abgeben!!!
    Ach jaaa, Gott sei dank beglückt er uns nun schon 8 Jahre lang mit seinen "Ideen", die ihm - münsterländertypisch - scheinbar nie auszugehen scheinen. Wir lieben Dich trotzdem über alles!

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