Sonntag, 10. Januar 2016

In Ahlen haben sie nicht gelacht.




Unsere Leseabende sind schnell umrissen: Frey liest vor, Wiki nervt, Luna liegt rum. Oder umgekehrt, da sind wir uns manchmal nicht einig. In kritischen Situationen wird Blutwurst gereicht. Auf Wunsch wird gerne und reichlich signiert.

Das Publikum darf leider keine Hunde mitbringen, sonst verliert Luna die Nerven, und ich beiße mir vor Schreck auf die Zunge, die daraufhin anschwillt wie ein Schnitzel und mich zum unverständlichen Nuscheln zwingt, was auch nicht tragisch wäre, weil man bei dem Schlachtenlärm in der Buchhandlung sowieso kein einziges Wort verstünde.


Was jeden Auftritt so unberechenbar macht wie eine Frontalbegegnung auf der Hunderunde, ist der Umstand, dass ich nicht den Hauch einer Ahnung habe, wie meine Hunde sich aufführen werden – und wie das Publikum! Erst recht nicht, wenn die verehrte Hörerschaft bereits mit Äppelwoi, Prosecco oder Aperol vorgeglüht hat. 

Hennef

Die erste Lesung meines Lebens. Ich bestehe zu hundertzehn Prozent aus Adrenalin, Lampenfieber und Rescuetropfen und hample gestikulierend und kopfkratzend am Tisch herum. Da ich ohne Mikro lese, bleibt mir wenigstens die Schmach erspart, mir versehentlich das Headset vom Kopf zu fegen. 

Ausgerechnet diese Lesung wird auf Video aufgenommen. Als die Aufzeichnung später im Netz steht, entdecke ich in einem Hundeforum folgende Analyse: „Man beachte die Körpersprache des Autors. Wenn er so auch mit seinem Hund kommuniziert, dann wundert mich wirklich GAR nix mehr.“

Bei der gemeinsamen Signierstunde mit der ortsansässigen Hundekuchen-Bäckerin stemple ich einen kleinen Pfotenabdruck in meine Büchlein und fühle mich wie ein Würstchen. Die Bäckerin hat einen Stempel – ach was, ein Riesenbrett –  mit dem Originalpfotenabdruck ihrer Goldiehündin dabei und hämmert es munter in ihr monumentales Keksbackbuch.

Köln

Dreigängemenü im Limelight in Köln-Junkersdorf. Luna und ich sind als Pausenclowns gebucht und lesen zwischen den Speisen. Auf meine dankbare Ansage, wie wunderbar ich es fände, dass so viele wegen mir gekommen sind, hauen die Kölner mir um die Ohren, dass keine Socke wegen mir da sei, sondern alle nur wegen Luna.

Dafür räche ich mich wenig später fürchterlich, indem ich ankündige, als Vorspeise gäbe es Dialog von grünem Pansen und plattgetretenem Laubfrosch an Ochsenziemerreduktion. Da werden die ersten blass. Der Rest bei dem Satz, zum Hauptgang würden sie mit Schweineleber gebarft.

Erkrath

Es sind so viele, dass die Veranstaltung geteilt werden muss. Um das Konfliktpotenzial zu minimieren, schlage ich vor, die beiden Großfraktionen der Bravhundehalter und Krawallmausinhaber von vornherein zu separieren. 
Fangfrage im Vorverkauf: Haben Sie eigentlich noch eine Hundehaftpflicht? 

Hinterher sitzen dann doch alle gemischt, und der erste Abend ist so wundervoll wie der zweite. Wie üblich legt sich Luna imageschädigend zum Schlafen nieder, sodass ich mir einmal mehr die Bemerkung anhören muss, der Hund sei ja eine Wucht, was ich denn bloß habe, Luna sei so was von lieb, an dem Buch über die wilde Wutz stimme wohl gar nichts.

Die nette Buchhändlerin bietet an, ihren Kater Rudi kurz durchs Publikum zu schicken, damit jeder weiß, wovon ich spreche. Ich kenne Rudi und lehne dankend ab. Rudi gehört zu der Sorte Kater, die nicht weglaufen, wenn ein Hund kommt, sondern stehen bleiben, sich umdrehen und die Messer wetzen. Soll mein Hund ein Auge verlieren, nur wegen eines ungläubigen Thomas im Publikum?

In der Pause stehen alle vor der Tür. Ein Cockerspaniel trottet mit Herrchen durch die Fußgängerzone. Sie laufen viel zu nahe an der Buchhandlung vorbei. Luna detoniert kurz, aber heftig. Na bitte, geht auch ohne Katergemetzel.

Reinheim

Wir lesen in der Äppelwoikneipe Zum kühlen Grunde. In einem schwachen Moment gestehe ich, dass ich aufgrund eines frühkindlichen Traumas noch nie Äppelwoi getrunken habe.

Als ich klein war, musste ich früher jeden zweiten Samstag zur Oma. Da traf sich um fünfzehn Uhr dreißig die ganze Familie. Die Tante, die in der Bäckerei bediente, brachte Restkuchen mit. Um sechzehn Uhr war der Kaffee warm und der Fernseher vorgeglüht. Blauer Bock! Die Hölle! Heinz Schenk erzählte Witze, die ich nicht verstand, die Band war das Grauen, alle schwenkten Bembel, zwischendurch jodelten drei waghalsig gefönte Herren à capella unter dem Künstlernamen Medium-Terzett. UND DU BIST SIEBEN UND KANNST NICHT WEG! 

Nach der Pause bekomme ich den ersten Äppelwoi meines Lebens gereicht, einen sogenannten Süßen, der so sauer ist, dass ich gar nicht wissen will, wie der saure schmeckt. Überdies habe ich das Gefühl, ich trinke Fruchtsaft; im Kopf kommt aber so etwas Ähnliches wie Stroh Rum Achtzig an. Danach habbe ich leise Swirichkeiten mit einem Texsst, in dem dreimal Hannibal Smith und einmal Hannibal Smiths Pläne pforkommd. 

Mettmann

Als ich von unserer großen Abschlussprüfung erzähle, wo alle Hunde in der Düsseldorfer Altstadt liegen und Bratwürste vor der Schnauze haben, die sie nicht verzehren dürfen, fragt tatsächlich ein Zuhörer, wer eigentlich die Bratwurst bezahlt habe.

Das habe ich mich in den vergangenen Jahren noch kein einziges Mal gefragt. Aber jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen: ich! Hunderte von Euro für einen Hundekurs ausgegeben und die Bratwurst auch noch selbst bezahlt! So eine Sauerei!

Dormagen

Es ist bereits Ende September, aber immer noch brütend heiß. In der Buchhandlung herrschen geschätzte zweiunddreißig Grad. Wie bei fast jeder Lesung wird zuerst Luna vorgestellt und irgendwann dann auch ich unter ferner liefen. Pfff! Dann soll halt der Hund was machen, und ich lege mich auf die rote Decke.

Dülmen

Ich gebe Schulstraße statt Schulgasse in das Navi ein und lande pünktlich zu Lesungsbeginn im neun Kilometer entfernten Stadtteil Rorup.

Die richtige Buchhandlung – wir finden sie doch noch – riecht sehr interessant, weil es da einen Labbirüden als Ladenhüter gibt. Der ist zwar persönlich nicht anwesend, olfaktorisch aber schon. Ich bete im Stillen, dass meine Rüdin nicht markiert. Vor allem nicht ins Bildbandregal, wo die ganz teuren Schinken stehen. Wasserschaden wäre mal etwas ganz Neues für unsere Haftpflicht.

Velbert

Vielleicht liegt es daran, dass der freundliche Buchhändler im historischen Stadtkern von Langenberg Katzen statt Hunde hält. Oder mein Verlag den Beipackzettel zur Lesung verbaselt hat. Oder Langenberger einfach cooler sind als ich. Als ich vier Tage vor der Lesung anrufe, um Details abzustimmen, rutscht mir jedenfalls das Herz in die Hose. Aus Publikumshunde müssen leider draußen bleiben! ist in der Vorankündigung ein launiges Publikumshunde willkommen! geworden. Der Buchhändler verspricht, diese Bombe rechtzeitig zu entschärfen. Hat er geschafft.

Pulheim

Die netten Damen von der Buchhandlung servieren ihrer Kundschaft selbstgefertigtes Käsegebäck. Da es Rotwein zum Keks gibt, füttert die Zuhörerschaft enthemmt Fremdhunde. Ich muss mich keine Minute um Luna kümmern. Sie ist mit Schnorren beschäftigt.

Ahlen

Wo andere Publikümer vor Lachen zusammenbrechen, schmunzelt der Ahlener höchstens. Selbst die Geschlechtsverkehrpassage bei Eddie the Beagle, normalerweise ein Garant für anhaltendes Gejohle, wird nur mit verhaltenem Lächeln gewürdigt. Einer macht eine Mikrosekunde lang „Ha!" Ich bin irritiert und verzweifle langsam. Die kriegst du nie gepackt, denke ich. 

„Das war sooo schön", freut sich am Schluss die Buchhändlerin. „Die sind ja heute dermaßen aus sich rausgegangen." Als ich sie mit kugelrunden Augen anstaune, erklärt sie nur: „Westfalen!"

Bad Lippspringe

In der fünfundvierzigsten Lesungsminute verschwindet Luna aus meinem Sichtfeld. Wenig später höre ich hinter meinem Rücken dramatisches Reißen von Papier. Das darf jetzt nicht wahr sein! Luna frisst doch keine Bücher. Im zarten Alter von sechs Monaten hat sie einen Harry Potter angenagt. Seither nie wieder! Bücherschreddern ist eine Baustelle, die wir nie hatten. Warum denn ausgerechnet jetzt?

Als das Reißen immer lauter wird, unterbreche ich kurz und gehe meine Luna suchen. Ich finde sie in der Bilderbücherecke, wo sie eine aus dem Büromülleimer gemopste Brötchentüte fein säuberlich in Streifen zerlegt.

Duisburg 

Perfekter kann ein Timing nicht sein. Während ich erzähle, wie Luna in Bad Lippspringe eine aus dem Büromülleimer gemopste Brötchentüte fein säuberlich in Streifen zerlegt, mopst Luna aus dem Büromülleimer eine Brötchentüte und zerlegt sie fein säuberlich in Streifen.

Davon wird hinterher nichts in der Zeitung berichtet. Dafür steht in der Überschrift in fetten Lettern Frey Dodillot. Nachnamen werden überschätzt. 

Versmold

Während wir hinter der Bühne auf unseren Auftritt warten, stöbern wir in Hundeforen nach wunderlichen Diskussionen. Das ist ein gutes Warm-up. 

Wir werden schnell fündig. Die hygienebewusste Halterin eines Schäferhundes wünscht nicht, dass der Hund in ihrer Abwesenheit aufs Bett hopst und möchte es ihm mit Hilfe eines fernbedienten Sprühhalsbands mit Limettenduft abgewöhnen. Dafür gibt es zunächst mächtig Prügel von allen Seiten. Nachdem sich die Wogen der Empörung über diese ignorante Brutalohalterin und ihr tierschutzrelevantes Treiben geglättet haben, kommen konstruktive Vorschläge, wie sich das Problem lösen lässt, ohne dass der arme Hund ins Meideverhalten getrieben wird. Unter anderem wird empfohlen, einen Elektrozaun um das Bett zu bauen oder 20 gespannte Mausefallen auf der Steppdecke zu platzieren. Unbezahlbar! Eine Sternstunde bundesdeutschen Forenschaffens.

Gegen acht ist der Zuschauerraum voll, der Scheinwerfer an und der Star des Abends angekündigt. Wie üblich bin das nicht ich! Meine Diva fegt auf die Bühne, schnuppert kurz und hopst dann sofort in den Zuschauerraum. Dort baut sie sich vor der Buchhändlerin auf, die sie bei der Ankunft mit einer knisternden Tüte Knabberzeug begrüßt hat, und bleibt für den Rest des Abends bei ihr. Unterbrochen von gelegentlichen Ausflügen zu weiteren spendablen Knistertütenbesitzern und – da war doch noch was? Ach ja! – kurzen Aufenthalten bei der Torfnase auf der Bühne.

Ratingen

Nachdem uns der Leiter der Stadtbibliothek Ratingen angekündigt hat, lasse ich Luna wie gewöhnlich ins Publikum brettern. Eine Frau springt kreidebleich in die Höhe und schreit: „Nehmen Sie den weg. Ich habe panische Angst vor großen Hunden!“ Das hatten wir auf unseren Lesungen auch noch nie. 

Die Redakteurin der Rheinischen Post ist von der Szene so beeindruckt, dass sie anderntags titelt Lesung mit Mann und Hund – Frau flüchtet! 

Meine Lieblingsstelle in dem Artikel ist die, wo sie meine Lesung mit dem Heizdeckenverkauf einer Seniorenkaffeefahrt vergleicht, mit dem Unterschied, dass bei uns die Tür nicht abgeschlossen gewesen sei. Dabei habe ich nur gesagt, dass es noch ein Hörbuch gibt.




Aus der Drama-Abteilung der Rheinischen Post.

Düsseldorf 

Luna und ich lesen in einer gut versteckten Location im alten Industriegebiet von Düsseldorf-Heerdt. Durch die großen Scheiben des Canonicus Loft im vierten Stock können wir auf die Straße blicken und sehen immer dasselbe Schauspiel. Auto kommt. Auto wird langsam. Auto steht. Auto fährt weiter. Auto wendet. Auto wird langsam. Auto steht. Auto fährt weiter.

Man kann den Dialog im Cockpit förmlich hören.
Navi: „Sie haben ihr Ziel erreicht!“
Fahrer: „Hä?! Kann nicht sein.“
Die Lesung ist dann so vergnügt wie immer. 
Wir fangen nur etwas später an.

Püttlingen 

Beim Signieren: 
„Könnten Sie da bitte Für Balou reinschreiben?“
„Gern. Schreibt sich das mit u oder mit ou?“
„Is' egal. Der hört eh nicht auf seinen Namen.“




(Bei unseren ersten 60 Lesungen war Wiki noch nicht dabei. Ab der 61. schon. Fortsetzung demnächst unter dem Titel „Das Asthmaspray von Wiedenbrück“.)





© Michael Frey Dodillet | Herrchenglück 2013 | Die Krawallmaustagebücher 2016 | Herrchentrubel 2016


7 Kommentare:

  1. Göttlich....das war mein Zubettgehlacher. :-D

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  2. Gerade das hatte ich bei diesem kalten und verregneten Monatgmorgen nötig.
    :D

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  3. Bin schon auf die Fortssetzung gespannt. Immer wieder herrlich!

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  4. yep schließe mich der allgemeinen Meinung hier an UND breche eine kleine Dose Mitleid an für den "armen" zweibeinigen Autor der ja sooo missachtet wird und nur als Sprachrohr für dieses überaus intelligente und verführerisch aussehende Musterbeispiel einer freundlichen Hündin dienen muss. Doch wer denkt an die Ärmste welche diese Anhäufung von menschlichen Verbalkommentaren stets begleiten muss um allabendlich ihren Mann äh Frau zu stehen und mit an sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in einem nicht vierbeinertauglichen Vehikel herumkutschiert zu werden? Die Ärmste muss sich sogar von trockenen Brötchentüten bei diesen Abenden ernähren wie unnhündisch die Zweibeiner doch sein können. Nun zum Glück ist Sie ja nicht allein, dieser Traum aus schwarzen Fell mit Ihren glühenden Augen.. hach ja welch süßer Traum.

    Und so hebe ich meine Schnauze empor und belle mit norddeutschen Dialekt die Meinung hervor.. mehr davon*smile*

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  5. Alles gelesen, nicht laut gelacht, und doch würd ich's noch mal lesen, sicherlich mit einem Grinsen! Bin ich ein Westfale?
    Als Bonuspaket hätte ich als Nachschlag gene einen Post mit allen Zeitungsartikeln (den hab ich auch gelesen).

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  6. wirklich toll geschrieben, frauchen schmunzelt sich einen :D

    glg, luana

    p.s kommen aus der nähe von kölle

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