Freitag, 11. Dezember 2015

Klare Ansage.


Der Alukätzchenfighter. Teil 2: Klare Ansage.


Nur wenige Wochen später sitzt Wiki knurrend im Hof von Sophie Strodtbecks Seminarkneipe in Oberrimbach und beantwortet ungeduldig die Fragen der umstehenden Krauses. Nein, diese Alukatze lasst ihr mal schön in Ruhe! Genau, das Teil gehört mir! Denkt nicht mal dran! Nein, näher als fünf Meter kommt ihr auf keinen Fall. Ja, der Maulkorb ist scheiße. Ach was, der hindert mich nicht am Hacken. Wie – wohin? In deinen Fuß natürlich. Nein, ich gehe immer noch nicht weg. Lös du dich doch selber in Luft auf, du Pfosten!

Die Krauses kommen aus ganz Deutschland und machen mich nervös. In der Mehrzahl handelt es sich bei ihnen um erfahrene Hundetrainer, die es in ihrem Beruf gar nicht so selten mit wirklichen Problemhunden zu tun haben. Also solchen, die ihren Besitzern ohne Wenn und Aber an die Wäsche wollen. Hunde, die so riesig sind wie anatolische Kangals und kompromisslos gucken wie Chuck Norris, Kanaillen, die nicht nur drohen und kurz abschnappen, sondern ihren Lieben tatsächlich im Arm hängen oder im Hüftspeck.


Diese mit allen Wassern gewaschenen Krauses stehen da, staunen mein fauchendes Wutpäckchen an und murmeln so beunruhigende Sätze wie:

„Heilige Scheiße!“ 
„Man glaubt’s ja nicht, wenn man’s nicht gesehen hat.“
„Dass ihr sowas in eure Familie holt …!“

So langsam kriege ich Panik vor diesem Hund. Wo soll das enden? Immerhin werden wir bereits in 24 Stunden wieder gemeinsam im Auto sitzen. Bei 140 Sachen auf der Überholspur einen explodierenden Zehnerkracher zu beruhigen, der mein Parmaschinkentomatemozzarellabrötchen geklaut hat, gehört nicht zu meinen Kernkompetenzen. Luna ist in diesen Situationen auch keine große Hilfe. Wenn Wiki seine Anfälle kriegt, dreht sie sich einfach brummend auf die andere Seite und pennt weiter. In Ruhe lassen ist die beste Medizin, denkt sie, diese fünf geistesgestörten Minuten gehen auch ohne mein aktives Zutun vorüber.





Auf meinen Einwand, dass die aggressiven Hunde in ihrer Praxis doch bestimmt um einiges schlimmer seien als meiner, schütteln die Krauses den Kopf. Diese Hunde seien zwar gefährlicher, wird mir erklärt, aber dafür sei ihr Verhalten vorhersehbar. Mit einer sauberen, statusgebundenen Aggression könne man umgehen. So ein Hund kämpfe nämlich nicht nur ab und zu, sondern bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Er verteidige sein Futter, lasse keinen in seine Nähe, wehre sich gegen den Maulkorb, flippe beim Bürsten aus, beim Anleinen und beim Weihnachtsliedersingen wahrscheinlich auch. Damit könne man gut leben, weil die Gefahr sich einschätzen lasse. Aber so einer wie der hier – man zeigt beeindruckt auf mein Untier –, der wie betoniert neben seinem Alukätzchen hockt, der sei ja völlig unberechenbar. Erst schmuse er einen wund, dann beiße er einen blutig. Schönen Dank auch.

Nur Mario ist nicht so ganz überzeugt. So wild sehe das alles nun auch nicht aus, wirft er ein. Wahrscheinlich brauche der Knabe nur mal eine „klare Ansage“, dann sei das Problem vom Tisch.

Eine sehr interessante Hypothese, finden die Krauses, was wohl der Hund dazu sage. Ich ahne, was er sagen wird, sage aber nichts. Nadin geht es genauso. Sie kennt ihren Pappenheimer und würde gerne auf die Überprüfung dieser Hypothese verzichten. Die anderen Krauses überstimmen sie. Es herrscht Einigkeit. Sie möchten wirklich gerne sehen, was passiert, wenn Wiki mit einer „klaren Ansage“ konfrontiert wird. Ich willige ein. Mein kleiner Hund wird bei einer solchen Aktion keinen Schaden nehmen. Mit klaren Ansagen kennt er sich aus. Da sie an ihm abperlen als wäre er teflonbeschichtet, werden sie auch nicht in seine unschuldige Seele dringen und dort nachhaltige Traumata verursachen. 

Nach längerem Hin und Her beschließt Nadin, Marios geforderte klare Ansage in drei Intensitäten umzusetzen: beim ersten Mal eine eher moderate Fassung, beim zweiten Mal die deftige Version und beim dritten Mal eine Bedrohung Marke Voldemort. So könne man am besten sein Verhalten beurteilen. Sie verwette aber jetzt schon  ihre Großmutter, dass dieser Hund nicht flüchten, sondern Aggression mit Aggression beantworten werde.

Sie drängt Wiki entschlossen von der Alukatze weg: stampfende Schritte, Körper wie eine Bogensehne gespannt, den Kopf voller finsterer Vorsätze. Hunde muss man nicht anschreien, um sie zu bedrohen. Sie lesen Gedanken. Wenn sie darin lesen, dass es ihnen an den Kragen geht, ist das bedrohlicher als aufgebrachtes Menschengeschrei. 

In der sanften Version weicht Wiki fauchend zurück, hackt mit seinem Drahtmaulkorb unermüdlich in Nadins Wanderschuh, bricht nach fünf Metern die Attacke ab und wieselt zu seiner Alukatze zurück. 

Als Nadin die Intensität der Bedrohung um eine Stufe steigert und ihn erneut abdrängt, hält er beim Zurückweichen den Kopf in Kniehöhe, sein Fauchen wird leiser, die Konzentration steigt. Ich habe das Gefühl, dass er seine Kräfte sammelt, um im richtigen Moment herzhaft in ihr Knie zu beißen. Bevor das passiert, bricht Nadin die Übung ab. 

Beim dritten Mal – Variante Voldemort dreht dir jetzt persönlich den Hals um und macht eine Bratwurst aus dir – gibt Wiki keinen Ton von mehr von sich. Stattdessen fletscht er die Zähne, stellt sich auf die Hinterbeine und stemmt sich dem Zurückschieben entgegen. Sein Kopf ist weder auf Fuß- noch auf Kniehöhe. Er ist direkt in Nadins Schoß! Keiner der Umstehenden möchte wissen, was geschehen wäre, trüge er keinen Maulkorb. Den anwesenden Herren schrumpft schon beim bloßen Zusehen das Gemächt auf Erdnussgröße.

„Hat jeder mitbekommen, was bei einer klaren Ansage passiert?“, will Nadin im Anschluss wissen.

Alle nicken stumm.
„Je klarer die Ansage, desto intensiver die Bedrohung“ fährt sie fort. „Manche Hunde lassen sich davon beeindrucken und drehen ab. Manche interessiert das nicht die Bohne. Bei Wiki ist es noch mal anders. Es beeindruckt ihn sehr, aber er wehrt sich trotzdem mit allen Mitteln dagegen. Aus irgendeinem Grund kann er nicht freiwillig weichen. Vielleicht liegt es ja wirklich daran, dass die Vorbesitzer ihn im Welpenalter an die Heizung gebunden haben. Er wirkt auch dann wie angebunden, wenn er nicht angebunden ist. Bei der Alukatze stehen ihm alle Fluchtmöglichkeiten offen. Dreihundertsechzig Grad Freiraum um ihn herum. Trotzdem weicht er nicht. Was für ein tapferer, kleiner Kerl!“

Abends telefoniere ich mit Stella und erzähle begeistert von den Hypothesen und Diagnosen des Tages. Ich schwärme von Fuß-, Knie- und Schoßangriffen, von stummen Alukätzchen und explodierenden Halbterriermünsterländern, gestehe freimütig meine Ahnungslosigkeit ein und natürlich meine große Überraschung darüber, wie sehr unser niedlicher, kleiner Sausack mit seiner außergewöhnlichen Futteraggression die Fachwelt fasziniert.

„Na prima“, sagt Stella zum Schluss. „Jetzt habe ich auch Muffensausen.“




Gut, dass wir auch darüber gesprochen haben.





(Der Alukätzchenfighter Teil 1: Maulkorb Dackel fünf)
(Der Alukätzchenfighter Teil 3: Workout am Schälchen)



© Michael Frey Dodillet,  Der Alukätzchenfighter
Auszug aus Herrchentrubel, Heyne Verlag München, Mai 2016

1 Kommentar:

  1. Tja ich würde sagen der Terrier kommt durch ;)
    Das ist übrigens nicht heilbar :)

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