Sonntag, 22. November 2015

Jeder kriegt den Hund, den er braucht.






„Lass uns einen Hund in die Familie holen“, sagte meine Frau in einem leichtsinnigen Moment vor zehn Jahren. „Das wird schön. Dann kommen wir jeden Tag an die frische Luft und haben Zeit, ausgiebig miteinander zu reden, ohne dass ein Telefon quengelt oder ein Kind klingelt.“

Es wurden dann schließlich zwei. Luna, eine emotionsflexibel veranlagte Rüdin, die andere Hunde verhaut, und Wiki, ein testosteronhaltiger Kleptomane, der alles klaut und jeden beisst, der es ihm wieder wegnehmen will. Bei Kaninchen, Katze, Hirsch und Wildsau verlieren beide komplett die Nerven und kreischen vor Mordlust, der Rüde explodiert noch zusätzlich bei Geflügel.



Die herbeigesehnten Aufenthalte in der freien Natur sind keine Spaziergänge, sondern Scanvorgänge. In einem Winkel von 360 Grad halten meine Frau und ich nach potenziellen Feinden oder schmackhafter Beute Ausschau. Aus den ausschweifenden Unterhaltungen ist auch nichts geworden. Wir sprechen unterwegs nur das Nötigste: „Kommt da wer? Kennst du den? Hat der einen Hund dabei? Kennen wir den Hund? Sind das Rehe? Was flitzt da vorn? Ich krieg’ gleich die Krise. Du auch?“ Unsere sowieso schon knapp bemessene Freizeit verbringen wir bei Krauses, die uns tolle Tricks zeigen, wie wir die Macken unserer Hunde beseitigen könnten, wenn wir es denn drauf hätten. Wir haben’s aber nicht drauf. Darum fällt einmal pro Quartal der dramatische Satz: „Pass bloß auf, Schätzchen! Sonst kommst du in die Wurst!“ 

Das ist der Moment, wo sich die Hundehalterschaft in Vernünftige und Unvernünftige trennt. Die Vernünftigen wickeln das Schätzchen ein, tragen es zum Metzger ihres Vertrauens und sagen: „Mach’ mir daraus eine schöne Salsiccia.“ Die Unvernünftigen knuddeln den Hund und seufzen: „So ein Süßer! Ich kann viel von ihm lernen.“ 

Wir gehören zur zweiten Gruppe. Das Geheimnis unserer Lebensfreude heißt: Positive Thinking. Dazu zwei Beispiele aus den Bereichen Materialermüdung und Breitensport.

Im Gras wälzen und positiv denken

Erstes Beispiel. Eben noch habe ich meine Luna im Griff, plötzlich schießt sie los wie eine Rakete, weil a) der Karabiner bricht, b) die Leine reißt oder c) das Halsband zerbröselt (Zutreffendes bitte ankreuzen). Jetzt gilt es 100 Meter unter 10 Sekunden hinzulegen und sich mit einem Hechtsprung zwischen die kämpfenden Parteien zu werfen. Dies dient der körperlichen Ertüchtigung. Ich denke nicht: „Na warte, du Vollpfosten!“, sondern: „Schönen Dank! Nie war ich fitter als heute.“

Zweites Beispiel. Wie Luna und ich ahnungslos durchs Düsseltal radeln, taucht unvermutet hinter einer Kurve die riesige Kuvaszin auf. Die Damen sind sich seit Jahren in herzlicher Abneigung zugetan. Alles weitere ist Physik. Bei der Vollbremsung verlagert sich mein Körperschwerpunkt über den Lenker. In dieser Haltung habe ich meiner kampflustig ziehenden Hündin nichts mehr entgegenzusetzen. Abgang mit einfach geschraubtem Salto – schon wälze ich mich vor Publikum im Gras, ausgerechnet ich, ein Mensch, der ungern im Mittelpunkt steht. 

Diese bescheidene Zurückhaltung mag zwar ein sympathischer Wesenszug sein, bei Autorenlesungen ist sie eher hinderlich. Da muss man einfach unter den Scheinwerfer. Was also macht der treue Hund? Er brummt: „Du möchtest lernen, unbefangen im Rampenlicht zu stehen? Kein Problem. Da vorne ist die Kuvaszin. Gestalten wir eine Situation, an der du wachsen kannst.“

Schön erbrechen, lächeln und winken

Überhaupt ist es für harmoniesüchtige, konfliktscheue Zeitgenossen wie mich ein unglaublicher Zugewinn, einen grantigen Hund zu haben. Einmal pro Monat Ja zum Konflikt sagen anstatt ihm ausweichen; auf erboste Hundehalter zugehen müssen, die Hand geben und sich höflich entschuldigen; der Todsünde Geiz entsagen und großzügig Tierarztkosten übernehmen, weil die eigene Haftpflicht bei freilaufenden Hunden nur die Hälfte zahlt; einen Karton exquisiten Rotweins für den Nachbarn aussuchen, hinübertragen und das freundschaftliche Gespräch suchen. Das alles trägt entscheidend zur Persönlichkeitsbildung bei. 

Gleiches gilt, wenn der Hund beim Frühstück gern und ausgiebig unter den Tisch bricht. Eine effizientere Desensibilisierung gegen jedwede Form von Ekelerregern gibt es kaum. Bei Wiki kommt noch hinzu, dass alle den Frühstückstisch verlassen müssen, weil er die kostbare Kotze bewacht als wären es die Goldeinlagen von Fort Knox. Er fällt jeden an, der ihm zu nahe kommt. Da ist Einfallsreichtum gefragt. Sonntagmorgens noch vor dem zweiten Kaffee auf dem Boden zu knien und sich zu überlegen, mit welchen Mitteln man einen fuchsteufelswilden Halbterrier von seinem Erbrochenen weglockt, gehört zu den Highlights des Daseins und ist vor allem für Inhaber von kreativen Berufen eine ausgezeichnete Schulung.

Aufstehen, Krönchen richten und weiterschreiten

Man reift als Persönlichkeit am Hund, jede Minute, jeden Tag. Dafür muss man ihm zutiefst dankbar sein. Gut, die Momente, in denen man in schiere Verzweiflung fällt und sich fragt, warum in Dreiteufelsnamen man sich das alles antut, werden nicht weniger. Hier tun sich die Anhänger der Reinkarnation natürlich leichter. Sie lächeln milde und sagen: „Je geduldiger ich bin, desto reicher werde ich im nächsten Leben belohnt. Womöglich werde ich ja als Günter Bloch wiedergeboren.“ 

Wer es gar nicht rafft, geht zurück auf Los und fängt im nächsten Leben wieder ganz von vorne an. Am Wegrand einer stadtbekannten Pinkelrunde. Als Kiesel! 









© Michael Frey Dodillet | Die Krawallmaustagebücher 2015

5 Kommentare:

  1. Das war ja nun Nichts Neues, aber einfach wieder lustig geschrieben.Wie geht es Luna?
    Liebe Grüße von der Rüdin Curry. Wir beide könnten uns wahrscheinlich auch nicht ausstehen

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  2. Der geht es prima. Am ersten November ist sie 11 geworden. Nerven wie eine Einjährige. Nämlich keine. :)

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  3. Jeder bekommt den Hund den er braucht, da frage ich mich ernsthaft was haben Sie oder wir verbrochen? Wir sind stolze Halter eines ähnlich verhaltensauffälligen Gespannes, wobei bei uns die Geschlechter andersherum verteilt sind. Wenn ich über Ihre Spaziergänge oder Radtouren lesen, dann habe ich das Gefühl 'der hat uns doch heimlich gefilmt und hat's aufgeschrieben' Auch wir haben zahlreiche Krauses zu Millionären gemacht, ohne nenneswerten Erfolg. Aufstehen, Krönchen richten und weiterschreiten, anders kann man den ganzen Peinlichkeiten nicht begegnen, die uns die Fellnasen im Laufe ihres Hundelebens bescheren. Aber klar ist, wir würden sie im ganzen Leben nicht eintauschen (ein neidvoller Blick auf herrchenanhimmelnde Labradore und Retriever muss aber ab und zu gestattet sein);-)

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