Samstag, 26. September 2015

Dr. Jekyll und Mr. Hyde.







Wir leben mit einer gespaltenen Persönlichkeit zusammen. Dr Jekyll hopst uns in die Arme und schmust uns stundenlang schwindelig. Mr Hyde mutiert über geklautem Futter zu einer fauchenden Bestie und beißt gnadenlos die Hand, die ihn nährt. 

Beide Herren residieren im Körper eines fünfjährigen Münsterländer-Jack-Russell-Mischlings, der vom Tierheim folgenden Begleittext erhielt: „Wiki ist ein sehr aufgewecktes Kerlchen und hat auch immer neue Ideen. Da er noch sehr übermütig ist, könnte es eventuell gelegentlich zu Missverständnissen kommen.“


Zum allerersten Missverständnis kam es am allersten Sonntag seiner Anwesenheit in unserer Familie. Das war vor vier Jahren. Der Neuankömmling stand auf dem Frühstückstisch und fraß die Butter. „Du gehst sofort da runter“, donnerte meine Frau und schmiss ihn vom Tisch. Der nächste, der etwas sagte, war der iranische Notarzt in der Ambulanz des Haaner Krankenhauses: „Möchten Sie eine örtliche Betäubung, während ich die Wunde versorge?“

Beutetyp Platinum: Selbsterbrochenes 
Seither versuchen wir, nicht gebissen zu werden. Das gelingt uns gut. Das „aufgeweckte, übermütige Kerlchen“ hat nämlich drei Beutekategorien entwickelt. Zum Beutetyp Classic gehören Nonfood-Artikel wie Topflappen, Kerzen oder Dessous. Man darf sich Mr Hyde auf anderthalb Meter nähern, bevor er zuschlägt. Beutetyp Gold beinhaltet sämtliche Nahrungsmittel vom Magerjoghurt bis zum rheinischen Sauerbraten mit Rotkohl und Klößen. Hier ist eine Annäherung auf vier Meter möglich. Der Beutetyp Platinum umfasst nur zwei Dinge: Erbrochenes und Mauselöcher. Wer hier einen Radius von sechs Metern unterschreitet, spielt mit dem Leben seines Schuhwerks. Wir haben dafür Verständnis. Schließlich ist Erbrochenes nur ein anderer Aggregatzustand von Gourmetküche, und das Mauseloch hat sich der kleine Hund im Schweiße seines Angesicht hart erarbeitet.

Im Platinumzustand wirkt Wiki wie ein Stephen-King-Geschöpf, das auf einem Indianerfriedhof beerdigt wurde und sich eine Woche später selber wieder ausgegraben hat. Er wird steif wie ein Brett, faucht wie ein Achtzylinder und vergräbt alle 42 Zähne im Schuh seines nichtsahnend in den Platinumradius schlurfenden Gegenübers. Dieser sollte keine Flipflops tragen!

Neun Schritte zum Erfolg
Krause sagt, wir hätten ein Problem: einen Familienhund mit einer Futteraggression! Ich finde, das ist ein wunderbares Problem. Eines, auf das ich ein bisschen stolz bin. Das hat nämlich nicht jeder. Andere haben nur ein kleines Problem. Dass der Hund nicht ordentlich bei Fuß geht oder das Licht nicht ausmacht, bevor er ins Bett geht. Wer auch so ein tolles Problem haben möchte wie wir, orientiere sich bitte an dem folgenden 9-Punkte-Programm:

1. Du musst dich komplett frei machen von deiner ganzen Hundeerfahrung. Mal den Sachverstand abwerfen. Weg mit dem Ballast, der einen nur an der Entfaltung hemmt! Du musst dich in diesen unschuldigen Hundehalter-Urzustand zurückkatapultieren, wo du wieder Sachen faselst wie: „Aber er wedelt mit dem Schwanz. Er freut sich doch.“

2. Du musst sorglos sein! Wenn dein Krause vor der Anschaffung warnt: „Münsterländer-Jack-Russel-Mix? Der wird jagen wie der Teufel und die Beute mit Leib und Leben verteidigen!“, musst du abwinken und antworten: „Andere vielleicht. Aber der doch nicht.“

3. Du brauchst Teenager, in deren Zimmern es aussieht wie nach einem Granateinschlag. Auf dem Boden ein wildes Durcheinander an Wäsche, Leibchen, Schuhe, Make-up-Utensilien, halb eingenommenen Mahlzeiten, verkrusteten Müslischälchen, Apfelgröbsern und dreiviertelleeren Chipstüten. Diese Teenager sollten morgens vor der Schule zuverlässig vergessen, die Türen ihrer Zimmer zu schließen. Nur eine halbe Stunde später rennst du barfuß in die Katastrophe und lässt dir in die Zehen hacken.

4. Wenn der Hund gerne klaut wie ein Rabe und nichts lieber macht als Zerrspiele, solltest du eine Wäschetonne mit einem leicht abnehmbaren Deckel bereit halten.

5. Du musst in einem alten Haus leben mit einem total verkorksten, extrem verwinkelten Grundriss, sodass hinter jeder Tür und jeder Ecke ein Hund mit Diebesgut liegen kann, der dir unversehens ins Gesicht springt, weil er gerade drei gemopste Walnüsse bewacht.

6. Du musst gedankenlos in Haus, Garten, Feld, Wald und Flur unterwegs sein, damit du wieder und wieder in die gleichen blöden Konfliktsituationen hineinrauschen kannst. 

7. Alles, was deinem Hund etwas bedeutet, muss für ihn gut zugänglich sein! Mit anderen Worten: Du musst deinem Hund mördermäßig viele Gelegenheiten bieten, damit er seine Beuteneurose ausleben und ausbauen kann.

8. Du brauchst unbedingt Internet! Das macht so schön unsicher. Merke: Zum Thema Futteraggression reden und schreiben diejenigen am meisten, die das Problem nie hatten. „Warum darf der denn nicht ungestört essen?“ – „Das ist keine Futteraggression. Das ist Verlustangst.“ – „Tauschen klappt immer!“ Nein, tut es nicht! Außerdem willst du Kotze auf dem Rasen nicht tauschen. Das Zeug willst du gar nicht haben. Du willst nur wieder in den Garten dürfen.

9. Was wir erst im Nachhinein erfahren haben, aber wohl ein todsicherer Tipp ist, um speziell bei explosiven Jagdhund-Terrier-Mixen eine ordentliche Beuteaggression zu generieren: Man muss ihn als Junghund an die Heizung binden, weil einem das Gehampel und Möbelgeknabber auf die Nerven geht. Ein bisschen Futter, Decke und Spielzeug dazu geben, zehnmal am Tag versehentlich in den Hund hineinrennen, der nicht weg kann – fertig ist der Beißer! Spätestens nach drei Monaten hat man Angst um seine Kinder und gibt den Kleinen ins Tierheim. 

Wenn er Glück hat, landet er danach in einem Haushalt voller Wahnsinniger, die auf merkwürdige Hundeprobleme stehen. Und die zuverlässig auf den anbetungswürdigen Charme reinfallen, mit dem Dr Jekyll alles wieder gut macht, was Mr Hyde anrichtet.


„Gucksdu?!"








© Text Michael Frey Dodillet | Die Krawallmaustagebücher 2015 | Artikel 2016 im Blog von defu - Das Hundefutter vom Biobauern



3 Kommentare:

  1. da gibts noch mehr von solchen Hunden:
    http://www.schleckysilberstein.com/2015/09/er-soll-einen-ball-holen-und-zerstort-das-haus-hunde-sind-so/
    Haltet durch! Ihr schafft das! :-)
    Ich darf so schlau daherreden, weil ich keinen Hund habe....^^

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  2. Vielen Dank für dieses köstliche Leckerli!

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  3. Keiner kann Chaos und Wahnsinn so schön beschreiben wie Du :)

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sie kommen von euren Hunden. :o)