„Was macht Luna da?“, fragt meine Frau und schaut zu, wie unsere Hündin in einer Staubwolke am Horizont verschwindet. „Sie verschwindet in einer Staubwolke am Horizont“, sage ich. „Das sehe ich auch“, sagt Stella. „Aber warum macht sie das?“ – „Wahrscheinlich ist Wolfi irgendwo da hinten.“
Bauer Fürmanns Hofhund Wolfi und Luna kennen sich seit ungefähr zehn Jahren und wollen sich seit ungefähr zehn Jahren umbringen, wenn sie sich begegnen. „Das war eine rhetorische Frage“, seufzt meine Frau. „Mir ist auch klar, dass da hinten irgendwo Wolfi ist. Aber warum macht sie das? Luna ist bald zehn. Weißt du, wie alt sie als Mensch wäre? Unter Berücksichtigung ihrer vierzig Kilo Gewicht ungefähr achtzig!!! Wie kann man mit achtzig in einer Staubwolke am Horizont verschwinden, nur weil man sich auf eine Schlägerei freut? Das ist die brutalste Oma, die ich kenne.“ – „Sei froh, dass sie keinen Rollator besitzt“, murmele ich. „Dann wäre sie noch schneller.“ – „Mich erinnert sie an die Hell’s Grannies von Monty Python. Die haben mit ihren Handtaschen auch wahllos auf Passanten eingeschlagen.“
Besorgt blicken wir unserer rüstigen Rentnerin hinterher, die hundert Meter weiter vorn nach links abbiegt, wie eine unbemannte Drohne in die Baumschule hineindonnert und nicht eher wieder herauskommen wird, bis sie Wolfi auf den Mond geschossen hat – mitsamt Bauer Fürmann, dem Sohn von Bauer Fürmann, der Frau von Bauer Fürmann und den vier Pappeln, die blöde hinter ihnen herumstehen.
Achtzig ist doch kein Alter
Luna laboriert mit ihren achtzig Jahren immer noch an einer kombinierten Freilauf- und Leinenaggression sowie an diversen anderen Macken, die ihr in unserer Nachbarschaft die Berufsbezeichnung Problemhund eingebracht haben. Ich finde diesen Begriff diskriminierend und spreche von einer emotionsflexibel veranlagten Andersbefähigten mit Perforationshintergrund, kurz: EVAMP. In der Fachliteratur wird ja gerne abgekürzt. In Härtefällen lasse ich noch eine disruptive Launenfehlregulationsstörung (DLFRS) in die Diskussion einfließen. DLFRS ist die offizielle therapeutische Bezeichnung für Jähzorn, macht aber bei Schadensnachbereitungsgesprächen mit Betroffenen einen professionelleren Eindruck.
„Hören Sie mal, Sie! Ja, Sie! Wenn Ihre aggressive Töle noch einmal auf meinen Gisbert losgeht, zeige ich Sie an.“ – „Luna ist nicht aggressiv, sie ist nur disruptiv launenfehlreguliert. Außerdem habe ich sie an der Leine. Es kann nichts passieren, solange Gisbert nicht wieder in uns hineinrennt. Wollte er sich gerade umbringen?“ – „Das kann ich nicht verhindern. Gisbert hört ja nicht.“ Damit ich während des Gesprächs nicht von den Füßen gerissen werden, praktiziere ich den Dodillet’schen Schwitzkasten als Managementlösung. Dabei drücke ich die vor Mordlust vibrierende Oma an mein linkes Bein, vergrabe beide Fäuste tief in ihrer Halsschwarte und verwandele mich in einen stählernen Schraubstock. Mittlerweile kann ich dabei sogar entspannt lächeln und so beeindruckende Sätze sagen wie „Machen Sie sich keine Sorgen, kch, kch, ich habe alles im Griff, pfff, pfff.“
Der Schwitzkasten ist das Einzige, was einigermaßen hilft. Okay, gut, das Einzige nicht. Man kann dieser Hündin drei Rippen entfernen. Wie letztes Jahr im Mai. Dann backt sie zwei Wochen lang auch mal kleinere Brötchen.
Alles fing mit Beule an
Beule tauchte irgendwann nach einer Keilerei mit Wiki auf, bei der es um ein albernes Stück Brot ging … eigentlich ging es gar nicht um das Brot, das war nämlich gar nicht mehr da, weil es am Vortag an dieser Stelle von Luna aufgefressen worden war, es ging vielmehr um einen Fleck Erde, auf dem vierundzwanzig Stunden vorher mal ein Brot lag, weswegen Wiki wie üblich eine mordsmäßig dicke Lippe riskierte und Luna sie ihm prompt noch dicker klopfte … egal, jedenfalls tauchte Beule nach diesem Scharmützel an Lunas rechter Rippenseite auf, fühlte sich knallhart an wie ein abgekapseltes Hämatom und blieb da wohnen. Die Dame wird tatsächlich alt, dachten wir noch. Vielleicht sind Hunde ja wie Autos. Die sind im Alter auch verbeult und ein bisschen langsamer.
Leider wurde Beule mit der Zeit spürbar größer. Das machen abgekapselte Hämatome normalerweise nicht. Die Diagnose war unerfreulich: Chondrosarkom, ein bösartiger Tumor, der schnell und infiltrierend wächst. Chondrosarkome in der Rippengegend tun nicht weh. Arschlöcher sind sie trotzdem. Sie werden mitunter so groß wie Fußbälle, ziehen alle Energie aus dem Hund und bringen ihn irgendwann um. Die gute Nachricht: Diese Tumore streuen nur selten. Das hieß, eine radikale Operation versprach Abhilfe.
Luna entschied sich wie erwartet für das OP-Modell mit Vollausstattung und allem Zipp und Zapp: drei Rippen raus, Mordstumor auch nach innen, Zwerchfell versetzt, Hautverschiebung wegen des enorm großen Wunddefekts, Morphium, Tropf, Wärmelampe, stationärer Klinikaufenthalt. Das ist mal wieder typisch für diese Hündin. Ihr ganzes Leben geht das schon so. Alles, bloß keine halben Sachen. Es hätte ja auch ein Lipom sein können oder eben ein Hämatom, aber nein! Am besten irgendetwas Tolles mit „Rippen raussägen und Zwerchfell umnähen“. Muss sich ja lohnen, so eine Fahrt zum Tierarzt.
Direkt von der Pubertät in den Altersstarrsinn.
„Das ist noch gar nicht so lange her“, sagt meine Frau. „Da stand es auf Messers Schneide. Da lag sie in der Klinik in der Box unter der Wärmelampe und wir haben gedacht, jetzt ist es aus. Jetzt müssen sie die Regenbogenbrücke frei räumen, damit es keine Schlägerei gibt. Ja von wegen!“ Wir schauen beide unserer Hündin zu, wie sie unverrichteter Dinge aus der Baumschule biegt, nach rechts und links guckt und gemächlich auf uns zu trottet, nachdem sie uns entdeckt hat.
Wolfi war Gott sei Dank nicht in der Baumschule. Dem begegnen wir erst auf dem Rückweg. Da steigt die Oma in die Leine, als gäbe es kein Morgen mehr. Hat sie zwei Wochen nach der OP auch gemacht. Obwohl das noch richtig weh tat, weil beim Pöbeln der gesamte Brustkorb beansprucht wird. Wuff, aua, fiep! Lernt sie etwas daraus? Nein! Ruffwuff, auaaua, fiepfiep! Werden wir mit ruhigeren Zeiten rechnen können, jetzt wo Madame achtzig und siech ist? Nein, nein!
Eine Bekannte sagte einmal über ihren greisen Berner Sennenhund: „Bruno, der sture Esel. Direkt von der Pubertät in den Altersstarrsinn übergegangen.“ Damals haben wir noch herzlich gelacht.
© Text Michael Frey Dodillet | Die Krawallmaustagebücher 2015
Haha unsere 12 Jahre alte Border-Collie Hündin ist auch noch trotz Herzschwäche ne Krawallmaus, zu Hause die Liebste (außer wenn sie sich durch Gips-Wände beißt), und draußen verliert sie sobald ein Hund guckt/nicht guckt den Verstand *augenroll* Sind froh, dass wir nicht die einzigen sind :D
AntwortenLöschenLuna scheint ein beliebter Name für Krawallhündinnen zu sein. Unsere arme, kleine, 40 kg Abrissbirne , zieht jedesmal den kürzeren. Ich hatte schon befürchtet, dass es sich um Ihre "Krawallmaus" handelt. Ist es aber definitiv nicht:
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