Donnerstag, 12. Dezember 2013

Appetithäppchen mit Pfeffer.




Falls hinter dem 12. Türchen eures Adventskalenders nichts war, gibt es hier zum Trost eine weitere Kostprobe von den Männern. Otto wurde bereits vorgestellt, einmal hier und einmal da. Beim letzten Mal maulte Rudi, was denn der Scheiß eigentlich solle, es ginge hackenochmal um welterschütternde Männerkrisen und nicht um größenwahnsinnige Hunde, da müsse jetzt bald mal was anderes kommen, das Buch hieße schließlich nicht Toskanaottos. In diesem Sinne:

Der Motor heulte, die Radaufhängungen ächzten, die Reifen quietschten. Insgesamt klang es sehr empört. Der rote Bulli rumpelte durch die Schlaglöcher der steilen Auffahrt und schoss auf die Linkskurve zu.



„Also ich würde wirklich hu-hu-hupen“, sagte Rudi, während er gezwungenermaßen auf seinem Sitz auf und ab hüpfte.
„Das sagtest du bereits“, knirschte Markus und kurbelte am Lenkrad. 
Der Bulli knallte über eine einzementierte Abflussrinne.
„Es ist nicht gesund, wenn wir gleich am ersten Abend im neuen Do-do-dorf einen Italiener überfahren“, sagte Rudi.
Die Kurve wurde immer enger.
„Oje, enge Kurve“, sagte Thomas.
Hinter der Biegung ging der Asphalt in groben Schotter über. Obwohl der Teerbelag schon reichlich mürbe war, hatte er den Reifen doch mehr Halt geboten als die staubigen Bauschutthäufchen, über die sie nun fuhren. Markus ging leicht vom Gas, als die Räder kurz durchdrehten.
„Oje, Schotter“, sagte Thomas.
Er umklammerte den Handgriff oberhalb der Beifahrertür. Vor ihnen lag eine leichte Rechtskurve, die mit zahllosen bräunlichen Kugeln bedeckt war. 
„Oje, Tannenzapfen“, sagte Thomas.
Auf dem dichten Belag war kein Halten mehr. Die Räder rutschten hilflos über die braunen Zapfen und mahlten sie klein. Das Auto hing fest.
„Es hilft wirklich nicht weiter, wenn du immer das Offensichtliche kommentierst“, sagte Markus und zog die Handbremse an. „Außerdem sind das Pinienzapfen. Tannenzapfen fallen nicht von ihren Bäumen. Die bleiben dran.“
„Wir gehen den Rest zu Fuß“, sagte Rudi zu Markus. „Dann ist das Auto zweihundert Kilo leichter, und alle außer dir bleiben am Leben. Du nimmst einfach einen neuen Anlauf und fährst unser Gepäck alleine hoch.“
Während Markus den Bulli rückwärts den Berg hinunter manövrierte, liefen Thomas, Rudi und Ben den Schotterweg hinauf. Hinter der Pinienzapfenkurve tauchte ein aus groben, grauen Steinen gemauertes Haus in der Abendsonne auf. 
„Ist es das?“, fragte Ben.
„Ich denke schon“, sagte Thomas. „Die Straße ist hier zu Ende. Da kann eigentlich nichts mehr kommen.“ Er kickte einen Pinienzapfen vor sich her. „Und überhaupt, wieso fallen Tannenzapfen nicht vom Baum?“
„Keine Ahnung“, sagte Rudi. „Das ist bestimmt eine ganz komplizierte, botanische Besonderheit.“
„Wie Hyazinthenhaine“, sagte Ben.
Das Haus lag auf einem schmalen, in den Berg gehauenen Plateau. Rechts neben dem zweistöckigen Haupthaus war ein Turm angebaut. Im Erdgeschoss reichten die Fenster bis zum Boden. Man konnte den Gasherd und einen gemauerten Pizzaofen in der Küche sehen. Die Fensterläden waren so grün wie der Rasen vor dem Haus. Unter dem Turm standen auf einer gefliesten Terrasse zwei klobige Holzbänke und ein Tisch. Zwischen Haus und Rasen befand sich ein breiter Streifen feinen Kieses, der gutsherrenmäßig unter ihren Schuhen knirschte. Rudi setzte sich mit einem Seufzer auf die Bank.
„Schaut euch das an“, sagte er.
Genau gegenüber der Terrasse lag der Hügel mit dem Glockenturm von Campiglia d‘Orcia. Dahinter konnte man weit ins Orciatal sehen. Der Blick reichte von Pienza über San Quirico bis Castiglione. Ganz rechts konnten sie sogar den zackigen Turm von Radicofani erkennen. Die Sonne strahlte golden. 
„Wahnsinn!“, sagte Ben. „Eine derart kitschige Postkarte würde kein Mensch kaufen. Aber so in Echt jetzt, mit Pinienduft und Vogelgezwitscher, sieht es wundervoll aus.“
„Wo treibst du bloß immer solche Schätzchen auf?“, fragte Rudi Thomas.
Thomas zuckte mit den Achseln und freute sich.
Aus dem Tal drang das Dröhnen des Bulli-Diesels an ihre Ohren. Es wurde immer lauter, begleitet von infernalischem Reifenknirschen. Schließlich schlingerte der VW-Bus um die letzte Kurve und kam vor ihnen auf dem Rasen zum Stehen. 
Eine ganze Weile tat sich im Cockpit nichts. Dann stieg ein sichtlich ergriffener Markus aus.
„Ein Steinofen in der Küche!“, sagte er nur. „Habt ihr den gesehen? Ein toskanisches Turmhaus mit einem holzbeheizten Steinofen. Für Steinofenpizza und Steinofenlasagne. Und Brot können wir backen und ... unfassbar.“
Er pflückte ein Blatt aus dem Kräuterbeet vor der Küche und zerrieb es zwischen den Fingern. Begeistert sog er den Duft ein.
„Frischer Thymian im Garten“, sagte er. „Und wilder Majoran und Rosmarin. Ich will hier nie wieder weg.“
„Der Schlüssel liegt unter der Matte“, sagte Thomas.
Rudi schloss die massive Haustür auf. Sie betraten das nach allen Seiten offene Erdgeschoss. Links lag die große Küche, in der Mitte vor ihnen stand ein mehrere Meter langer Esstisch mit Stühlen, rechts befand sich das Kaminzimmer, an dessen Ende eine Marmortreppe nach oben führte. Türen gab es nirgends.
„Erster Turmschläfer ohne Streit“, sagte Ben, schulterte seine Reisetasche und verschwand im Obergeschoss.
Kurz darauf saßen alle vier auf der Terrasse und sahen der toskanischen Junisonne beim Untergehen zu. Der Glockenturm leuchtete im letzten Tageslicht. Otto wälzte sich wohlig brummend auf dem kurz geschorenen Rasen, nachdem er jede der vier Gartenecken einzeln markiert hatte. Das war jetzt alles seins!
Markus füllte die Gläser mit Rotwein und hob seines in die Höhe.
„Auf eine wider Erwarten sehr entspannte Fahrt“, sagte er. „Es macht Spaß, mit euch Chaoten zu reisen.“
„Danke gleichfalls“, sagte Thomas. „Auch wenn die Zufahrten zu den Häusern hier die reinste Katastrophe sind.“
Sie stießen an.
„Und was ist das jetzt genau?“, fragte Rudi und sah besorgt auf den Suppenteller, der mitten auf den Tisch stand und eine olivfarbene, dunkel gesprenkelte Flüssigkeit enthielt.
„Das ist feinstes Olivenöl aus dem Chianti“, sagte Markus. „Mit etwas Flor de Sal, hauchdünn geschnittenen Knoblauchscheibchen und Kochzivilistenpfeffer.“
„Aha“, machte Ben. 
„Was sind Kochzivilisten?“ fragte Thomas
„Das ist ein Blog für ambitioniert kochende Normalos wie mich“, sagte Markus. „Kein Kochduell, kein Zutatenwettrüsten, kein Pimp-my-Kitchen. Aber sauleckere Rezepte, die funktionieren und schmecken. Da habe ich auch den Tipp für die Pfeffermischung her. Fünfzig Gramm Tellycherrypfeffer, fünfundzwanzig Gramm langer Pfeffer und zehn Gramm Piment. So, Rudi, und jetzt pass auf! Genau in diesen Teller hier, also mitten hinein, tauchst du dein ungesalzenes, italienisches Brot, und wenn du fertig gekaut hast, wirst du verstehen, warum ein Brot mit kräftigem Eigengeschmack nur stören würde.“
Markus steckte sich ein öltriefendes Stück Brot in den Mund und verdrehte genießerisch die Augen. Rudi und die anderen taten es ihm nach. Lange Zeit sprach keiner ein Wort. Die Glocke von Campiglia schlug neun.
„Scheiße, schmeckt das gut“, sagte Rudi schließlich.
Markus grinste nur.
„Wir haben oben drei Zimmer“, sagte Thomas. „Zwei im Turm und eins im Anbau. Ich kann mir mit Markus das große Zimmer im Anbau teilen. Ben hat sich eh schon ganz oben im Turm breitgemacht. Bleibt für Rudi und Otto das andere Turmzimmer.“
„Das passt schon“, sagte Rudi. „Das ist so klasse hier. Ich würde auch auf dem Rasen übernachten.“
„Das empfiehlt unser Vermieter gar nicht“, sagte Thomas. „Er hat gesagt, es gäbe hier Wildschweine. Wir sollten nachts bloß nicht die Schuhe vor der Tür stehen lassen, sonst wären die am anderen Morgen weg. Falls der Strom ausfällt, finden wir auf dem halben Weg runter zum Dorf einen Sicherungskasten. Taschenlampen liegen in der Schublade des Küchentischs. Kaminholz ist hinterm Haus. Der Korb kostet drei Euro. Grillen ist erlaubt. Das Haus heißt Le Fontanelle. Die Kräuterbeete müssen wir nicht gießen. Die werden automatisch bewässert. In der Küche dürfen wir alles benutzen, auch die Gewürze. Zusätzliche Decken liegen in der Truhe auf dem Flur.“
Thomas hielt kurz inne und überlegte.
„Was war noch? Ach so, ja, er hat gesagt, er hätte sich mit der Sanierung dieses Landhauses einen Lebenstraum erfüllt, das hätte insgesamt fünfzehn Jahre gedauert, und wenn ihr was kaputtmacht, bringt er euch um.“

© Michael Frey Dodillet | Die Krawallmaustagebücher 2013



Die Männer gibt's ab März 2014 im Buchhandel.
Den Pfeffer gibt es heute schon beim Kochzivilisten
Und das Turmhäuschen steht hier


1 Kommentar:

  1. Oh, Mann, das grenzt ja schon an seelische Grausamkeit! Noch 4 Monate warten zu müssen und nur Kostproben zu bekommen! Aber ich freu mich trotzdem auf den März 2014, der neben Frühling auch noch den Lesespa´ß bringt! LG Hilla und Luna

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