Samstag, 21. August 2010

Gassi à la provençale.




Hunde erkennen Ferien am Geruch. Sonnenglühender Lavendel, ein toter Fisch im See, der Angstschweiß der Dorfkater, zart fließender Camembert, über allem ein Hauch von meergesalzenem Mistral.


Luna streckt ihre Lakritznase aus dem Seitenfenster, als wir die letzten Serpentinen zum Lac de Sainte Croix hinunterkurven und beginnt zu fiepen. Es ist wie nach Hause kommen, nur ein bisschen schöner. Jeden Tag mindestens drei Arschbomben in den See, Salami schnorren am Frühstückstisch, Dösen im provençalischen Schatten, der eine viel bessere Einschlafqualität hat als der neandertalsche, weil er beruhigend von Rosmarin beduftet und von Grillen bezirpt wird. Der ratten-scharfe, schwarz-weiße Bordermischling, der immer breitbeinig durchs Dorf stratzt, ist auch noch da.








Die Armee vom Montée des Oliviers


Der Zeltplatz liegt unten am See. Das Dorf zieht sich das steile Ufer hinauf. Ganz oben thront der Supermarché. Jeden Morgen wandern Luna und ich die steile Dorfstraße, den Montée des Oliviers, hinauf und hinab, um Brot zu kaufen und nach Hause zu tragen. Nach vier Wochen habe ich Oberschenkel wie Baumstämme. Am Ferienanfang sehen sie noch wie Streichhölzer aus. Da genügt ein strammer Satz bergabwärts in die Leine, um mich von den Füßen zu holen.


Das kann übrigens jede Sekunde passieren. Scheint es doch, als hätten sich die Katzen und Kater dieser Straße in dem Jahr unserer Abwesen-heit ungezügeltem Sex hingegeben. Unter jedem Auto kauert eine Armee knurrender Fellbrocken und wartet, was der deutsche Hund macht.


Habe ich vom „Angstschweiß der Dorfkater“ geschrieben? Maßlos übertrieben. Kein Tröpfchen davon liegt in der Luft.


Leinenmanagement


„Les chiens sont admis a condition qu‘ils soient tenus en laisse.“ Das ist französisch und heißt: Mach den Hund auf dem Campinglatz mal besser an die 5-Meter-Schlepp. Bei einer Ansammlung von vier Stühlen, drei Hockern, einem Tisch und einem Pavillon kommt man – die Hocker sind dreibeinig – auf summa summarum 33 Aluminiumbeine, die den bewegungsfreudigen Hund zum Einfädeln einladen. Mal eben unter dem Stuhl durch, um den Pavillon herum, rüber zum Trinknapf und zurück unter den Tisch.


Ich wage die Behauptung, dass ein halbwegs intelligenter Hund nach vier Wochen diese Route problemlos wieder rückwärts laufen kann, so dass alles glatt geht. Am Urlaubsanfang allerdings klappt das noch nicht. Luna gibt sich bunten Fesselspielen hin und wir alle hoffen, dass nicht gerade jetzt der Aufreger des Jahrzehnts (Maulwurf, Siebenschläfer, Cocker von oben links) über den Platz tapert. Es ginge eine Menge Equipment fliegen.


Basteln mit der Krawallmaus


Tipp 1. Einfach im Baumarkt von Riez ein 30 Zentimeter langes Stück Gartenschlauch besorgen, danach unter vorbildlichem persönlichen Einsatz zwei Flaschen Rosé leeren, die arbeitslos gewordenen Korken in die Schlauchenden stopfen – et voilà, schon hat man ein famoses Spieli zum Zerren und Werfen.


Tipp 2. Bevor man das nagelneue Spieli abends um zehn weit in den kalten See hinaus schleudert, unbedingt (!) vergewissern, dass man einen Hund dabei hat, der so spät noch schwimmen will.


Wie Zikaden in Wirklichkeit zirpen


Um zehn Uhr morgens gehen die Grillen an, um 21 Uhr 30 werden sie vom Bürgermeister persönlich wieder ausgeschaltet. Sie zirpen erfreu-lich südländisch. Nach einigen Stunden jedoch klingen sie angestrengt. Dass Zikaden lässig ihre Flügel aneinander reiben, ist ein Märchen aus dem Biologiebuch.


In Wahrheit schnallen sich die kleinen, chitinpanzerigen Gesellen an einem Ast fest und sägen auf selbstgebastelten Holzinstrumenten, tief vornüber gebeugt und verbissen wie wütende Cellistinnen. Die lautesten von ihnen haben Blechsaiten aufgezogen, gefertigt aus den abgerissenen Bierdosenringen, die sie nach Saisonende auf den Campingplätzen auflesen. In der Regel sind sie friedlich. Nur wenn man behauptet, sie produzierten dödelige Fahrstuhlmusik, schnappen sie nach einem. Gegen Zikadenbisse hilft eine gut abgehangene Tollwutimpfung.


Ruhe vor dem Sturm


Letztes Jahr hatten wir in den ersten anderthalb Urlaubswochen zehn mal so viele grenzwertige Situationen. Sogar Dorfzusammenheulen aufgrund Katerangriffs morgens um sieben war dabei. Was ist dieses Jahr los? Ist man mit fünfdreiviertel schon Oma? Geht man am Stock?Sammelt man Kräfte für den großen Schlag? Oder greift die Erziehung gar?


Der dicke Kuvasz von Nummer 144 linst auch immer frecher herüber. Wenn Luna mit dem zusammen lostobte, kippten Zelte und Caravans. Das würde den Schnitt der chaotischen Vorkommnisse zumindest etwas anheben. Ich weiß gar nicht, ob das wirklich ein Kuvasz ist. Leider reicht mein Französisch nicht aus, um gepflegt nachzufragen. „Pardon, ist dieser schmutzig-weiße Fellberg ein ungarischer Herden-schutzhund oder ein genmanipulierter Goldie?“ Die werden ja auch immer grobschlächtiger.


Fremdsprachiges Hundemurmeln


Morgens radeln wir ein paar Kilometer den See entlang. Alles, was badet, liegt noch in den Federn. Die Ruhe ist himmlisch. Ab und an erklingt das Plopsch einer ausgeworfenen Angel.


Im August haben die Franzosen Ferien. See und Umgebung sind brechend voll. Es ist äußerst angenehm, wo man geht und steht von französisch sprechenden Menschen umgeben zu sein. Ausländisches Stimmengemurmel im Hintergrund lenkt nicht ab, im Gegensatz zu inländischem: „Günner, gib mich mal den Grillwender.“ Vielleicht geht es Luna ja genauso. Französisches Hundemurmeln um sie herum trägt zur Entspannung bei, weil sie nichts kapiert.


Einige Phrasen jedoch scheinen international verständlich zu sein. Zum Beispiel als wir den kiesbestreuten Garten der Auberge de la Tour in Aups betreten und sich zwischen den Restauranttischen ein kleiner, heller Hund aufpumpt.


Helles Hündchen, schrill: „Das ist mein Restaurant, du Pfeife!“
Luna, 120 Dezibel: „Komm raus, Kastrat, das regeln wir vor der Tür!“
Englischer Gentleman, zehn Zentimeter neben Lunas Schädel ein Nudelgericht verzehrend: „Aaaaaaaaahhhh! Japs, zuck, zuck, japs!“


Dickes rundes Wawa


Von der Chuzpe einiger Hundehalter sollte ich mir wirklich eine Scheibe abschneiden. Man mäste einen Chihuahua (Schiwawa, wie der Schbanier prononciert) mit Camembert, bis er rollt. Dann setze man sich am Strand direkt neben den Abgang, wo andere Hundebesitzer mit ihrem Anhang mühselig auf Flipflops zum See hinunter balancieren. Alsdann hetze man das dicke runde Wawa auf alle Neuankömmlinge, kommentiere das entstehende Chaos mit Ts ts und habe Späßchen. Merke: Ts Ts ist kein Rückrufkommando. Was mache ich mir eigentlich immer so einen Kopf!?


Der Kumpel vom dicken runden Wawa heißt Thibault. Thibault ist ein reinrassiger Lastrami. Sobald Thibault bellt, kreischen mindestens sechs Personen aus seinem Rudel: „Thibault!“ – „Thibault!“ – „Thibault!“ – „Thibault!“ – „Thibault!“ – „Thibault!“ Mit einem einzigen Wuff soviel Aufmerksamkeit zu generieren ist wunderbar. Da will man nicht mehr aufhören. Was auch nicht weiter stört. Der Lärm, den die 12-köpfige, generationenübergreifende Wawa-Thibault-Mannschaft erzeugt, hat Rock-am-Ring-Qualität.


Und mittendrin im infernalischen Krach steht das königbäuchige Familienoberhaupt würdevoll im See und angelt einen Fisch. Einen taubstummen, vermute ich mal.


Medizinische Fragen


Sind Hunde infarktgefährdet? Wenn man sich ein Leben lang täglich wegen jedem Scheiß aufregt, wenn jede hüpfende Heuschrecke atomaren Großalarm auslöst, wenn man keinen Meter durchs Dorf gehen kann, ohne bis in die letzte Haarspitze zu vibrieren, wenn jeder Blick um die nächste Hausecke so spannend ist wie die letzten zehn Sekunden vor Hitchcocks Duschenmord, kippt man dann irgendwann einfach still um? Wird man dann als Hund nicht 14, sondern – sagen wir mal – nur 12?


Schlauchkorkenspieli II


So. Das wäre nun auch weg.


Katze zum Frühstück


Eine kleine, orange Katze hat unseren Platz Nummer 142 entdeckt und ist der felsenfesten Überzeugung, unser gemischtes 7er-Rudel müsste verstärkt werden. Luna sieht das anders. Das Kätzchen schaut trotzdem mehrmals täglich vorbei und will wissen, wie es uns geht. Uns geht es gut, dem Equipment weniger. Wir erinnern uns: 33 Aluminiumbeine, die den bewegungsfreudigen Hund zum Einfädeln einladen ...


Das Chaos lässt sich schwer in Worte fassen. Bannte man es auf Film, was wir uns ersparen, wäre Black Betty von Ram Jam der optimale Sound dazu. Kennt den noch jemand?




Wo wir gerade bei Essen sind. Wer erzieht eigentlich diese vermaledeiten Siebenschläfer? Sie rennen nachts durch die Steineichen-, Mandel- und Olivenbäume, ernähren sich von ebendiesen Früchten und schmeißen ihre Essensreste auf die Zelte. Kerne, Hütchen, Schalen – das prasselt wie Regen und macht Doing auf dem Bulliblech. Ich setze mich doch auch nicht in die Pizzeria und bewerfe Passanten mit Teigrändern!


Wo wir gerade bei Essen sind. Ein Satz, der mich seit meinem 28. Lebensjahr begleitet, lautet in der geächzten Ausführung: „Ich möchte abendspfffff nicht mehr so viel essen.“ So langsam glaube ich, den stöhne ich auch mit 88 noch.


Wo wir gerade beim Essen sind. Im Land von Bocuse, Ducasse, Drei-Sterne-Cuisine und Périgord-Trüffeln werden tatsächlich Baguettes mit warmen Pommes belegt! Muss man sich das auf der Zunge zergehen lassen? Wir meinen: nein!


Maçintosh


Zuerst dachte ich, der Mac habe sich endgültig akklimatisiert. Ich entdecke mitten im Text ein ç mit einem Düdelchen untendran, obwohl ich das gar nicht getippt habe. Weiter unten hat er sogar eins an ein a und ein m gemacht. Es war aber nur die Kombination aus drei französischen Staubkörnern und Brille nicht auf.


B.I.E.S.T.


Grasse und Manosque begeistern mit sehenswerten, etwas ranzigen, historischen Innenstädten. Die Gassen sind so eng, dass keine zwei Bistrotischchen nebeneinander passen. Die stehen alle in einer Reihe an der Hauswand. Wenn sie besetzt sind, gehen gerade noch ein Kellner, drei Touristen und eine Krawallmaus durch. Wehe, es liegt ein anderer Hund unterm Tisch oder es kommt einer im Flaschenhals entgegen.


In einer dieser Extremsituationen entdecke ich plötzlich, dass unser Markerwort Super! noch funktioniert. Das habe ich seit dem 28. Juni (zu heiß für Taschenblutwurst) nicht mehr benutzt. Luna wendet den Blick vom fußhupengroßen Lunch, guckt mich an und leckt sich die Lefzen. Ich habe leider nichts zum Belohnen dabei. Aber es geht auch ohne. Mit Super! kommen wir durch alle Gassen.


Steiners Rudi hatte eben doch recht. Der lehrte bereits 1919, Woche für Woche Physik pauken sei Unfug. Lieber drei Wochen intensiv reinhauen und dann sacken lassen. Wenn man sechs Wochen später weitermache, habe sich im Hirn alles optimal verknüpft und der ganze Kram sitze, wo er sitzen müsse. Bei Hunden funktioniert diese Form des waldorfschen Epochenunterrichts ganz offensichtlich auch. Drei Monate lang Super!-Epoche, zwei Monate Pause, Thema wieder aufnehmen - zack, passt! Wenn das mal keine Geschäftsidee für eine neue Hundeschule ist. Knalliger Name über das Konzept stülpen, bisschen frische Farbe ins Logo, fertig ist der Franchiseknaller.


B.I.E.S.T. – Blutwurst-intensives Epochen-System-Training.
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Kobra übernehmen Sie


Am letzten Abend gibt es oben auf der Seeterrasse des Le Comptoir ein fettes Eis für alle. Das ist Tradition. Einer der Sainte-Croix-Kater hat sich auf Krumensuche zwischen die Tische verirrt. Das ist neu.


In Lunas Hirn knallen die Synapsen, der Hund schaltet von Kopf bis Schwanz auf Jagdmodus. Dazu gehört ein triebiges, helles Heulen, Jaulen und Kläffen. Vier Pfoten kratzen Rillen in den Asphalt und der Schädel rumst von unten gegen den Tisch, dass die Gläser klirren. Circa 70 Augenpaare starren uns an. Als Luna zum vierten Mal Theater macht, teilen mir meine Kinder mit, dass es jetzt so langsam peinlich werde und sie schon mal vorgingen. Netterweise nehmen sie die Krawallmaus mit, so dass ich noch zehn seelenruhige Minuten beim Espresso habe.


Nebenan nehmen Holländer Platz und schieben ihren Fox-Terrier unter den Tisch. Die Katze biegt um die Ecke. Der Fox rastet komplett aus. Heulen, Jaulen, Kläffen, Gläserklirren!


Okay, denke ich, wir können nach Hause fahren.
Die Ablösung ist da.










© Michael Frey Dodillet | Die Krawallmaustagebücher 2010

1 Kommentar:

  1. 9 Kommentare

    MENSCH
    Offensichtlich scheint das Abrufen von Musikdateien im Blog ein Genuss zu sein, der nur der Apple-Gemeinde vorbehalten bleibt. Alle anderen stürzen ab. Dafür danke, Steve Jobs! Wenn du mit deinem iPhone-Antennenproblem fertig bist, kannst du dich ja mal ein bisschen um iWeb kümmern. Da liegt noch mehr im Argen.

    Die Black-Betty-Datei jedenfalls ist jetzt raus und durch einen amazon-Link ersetzt worden. Die Krawallmaus sagt Pardong.
    Montag, 23. August 2010 - 09:26

    AIKO MACHT SICH GEDANKEN
    Hi Luna - da bin ich aber wieder mal total begeistert und "fast" dabei gewesen. Herrlich, was sich da für Szenen abspielten. Du bist einfach unschlagbar. Super ;-))
    Montag, 23. August 2010 - 10:11

    EVA
    Endlich haben Magenkrämpfe, Zittern, Schweisausbrüche und exzessiver Schokokonsum ein Ende. Krawallmaus ist wieder da und meine Entzugserscheinungen schwuppdiwupp verschwunden. Kann ich euch wegen 2 KG mehr auf der Waage verklagen ??? ;0))

    Ein herzliches Willkommen zurück in good old Germany.

    Und übrigens, Black betty ist ja wohl einer der kultigstens Songs überhaupt.

    Liebe Grüße auch von Roxi an ihre Seelenverwandte.
    Montag, 23. August 2010 - 13:40

    MENSCH
    Hunde dürfen gar keine Schokolade essen wegen dem Theobromingsbums. Schon 25 Tafeln Milka Knoblauch Nuss führen zum Herzstillstand. Ich kann da aber nichts für. Verklag doch deinen Edeka.
    :o)
    Montag, 23. August 2010 - 21:44

    EVA
    Roxi hat ja die zwei Kilo auch nicht zugenommen ;0))
    Ts Ts bei euch gibt es ja komische Geschmacksrichtungen, Milka Knoblauch-Nuss, dabei weiss doch jeder, dass Knoblauch und Nüsse nicht harmonieren, Knoblauch schmeckt am besten in der Kuhflecken-Variante...
    Dienstag, 24. August 2010 - 08:35

    MENSCH
    Bei Kuhflecken-Schokoloade bevorzugt unsereiner Meerettich. (Das Weiße.)
    Dienstag, 24. August 2010 - 08:52

    EVA
    Auch ne Möglichkeit *würg*
    Dienstag, 24. August 2010 - 15:09

    MENSCH
    Bitte nicht in diesen Blog brechen!
    Auch nicht auf die Fototapete
    rechts und links.
    Dienstag, 24. August 2010 - 19:32

    EVA
    Okay ich werde versuchen mich zu beherrschen.
    Wobei Eva und Selbstbeherrschung zwei Dinge sind, die sich ausschliessen ;0)
    Mittwoch, 25. August 2010 - 10:02

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