Besorgt blättern wir im „Taschenatlas Giftpflanzen“. Ist ja schließlich ein Gasthund. Hyazinthe, Jungfernrosmarin, Kartoffel, Kastanie, Kellerhals. Wir atmen auf. Käsekuchen ist nicht dabei.
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Wie unterschiedlich die Hunde sind.
Rufe ich Hier, macht Luna auf dem Absatz kehrt und kommt zu mir. Aiko guckt mich erstaunt an – „Was heißt hier Hier?“ – und zieht nach fünf Minuten einen Richtungswechsel unter Umständen eventuell in Betracht.
Draußen scannt Luna gespannt wie eine Feder mit erhobenem Kopf die Gegend und sucht Opfer, Gegner, Aliens. Aiko hingegen schnuffelt den Boden entlang und interessiert sich nur für das, was 20 Zentimeter vor seiner Nase liegt.
Sitze ich auf der Treppe und binde meine Schuhe, zappelt Luna hinter meinem Rücken und schleckt mir begeistert ein Ohr weg. Aiko baut sich vor mir auf und blickt mir stoisch ins Gesicht, Entfernung 5 Zentimeter, schwerer Wild & Nudel-Atem.
Luna rast hyperaktiv über die Wege, Aiko schreitet bedächtig einher.
Luna macht einmal die Blase leer und geht dann mit mir spazieren, Aiko macht an jedem zweiten Grashalm Pinkelpause.
Luna schläft oben unterm warmen Dach, Aiko im Erdgeschoss auf den kühlsten Fliesen.
Kommt einer an den Gartenzaun, hüpft Luna aufgeregt auf der Stelle und sagt nix. Aiko steht wie ein Monument da und donnert den Besucher an.
Begegnen wir im Neandertal vierbeinigem Mobbing-Material, schießt Luna wie eine Rakete nach vorn, Aiko hält sich vornehm zurück und schweigt.
Luna inhaliert ihr Essen und säuft danach den halben Napf leer. Aiko mampft seelenruhig sein Futter und trinkt zwischendurch eine Kleinigkeit.
Wenn das Ende der Leine erreicht ist, spürt Aiko unangenehmen Druck und hört automatisch auf zu ziehen. Luna spürt unangenehmen Druck, findet das angenehm und zieht erst recht.
Färbt die Bedächtigkeit von Monsieur auf Madames überschäumendes Temperament ab?
Nein, warum?
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Hopp! Luna springt in den Kofferraum, Aiko nicht. Hopp!! Aiko springt wieder nicht rein, aber dafür Luna wieder raus. Hopp!!! Aiko guckt Luna beim Reinspringen zu. Hopp!!!! Aiko guckt Luna beim Rausspringen zu. Platz! Luna legt sich vor das Auto. Aiko Hopp! Aiko springt rein. Luna Hopp! Luna springt rein, Aiko springt raus. Wir gehen zu Fuß.
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Luna probiert geraume Zeit aus, ob man dem Kerl nicht die Domina-Tatze in den Nacken legen kann. Das klappt bei manchen Rüden sehr gut. Aiko knallt ihr umgehend eine vor den Latz. Selbst dann, als sie dreistes Nackentatzen mit unterwürfigem War-nur-Spaß-Fiepen kombiniert.
Nach einer Woche ist klar: Nee, der will das nicht. Jetzt nutzt Luna das Nackentatzen nur noch, um Aiko zum Jagdspiel zu überreden. Wenn der faule Sack nicht mitmachen will – einfach Tatze auf den Nacken patschen und schon tobt er wutschnaubend hinter ihr her.
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An alle Downhill-Biker, denen ich die Hunde nicht schnell genug aus dem Weg räume: Wenn euch die soziale Kompetenz fehlt, einen Waldweg mit anderen Leuten zu teilen, bleibt am besten zu Hause vor dem Fernseh. Kommt ja auch sportliches Programm zur Zeit.
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Aiko mag keine Treppen und geht keine Treppen. Die steile Stiege zu meinem Dachboden-Büro schon mal gar nicht. Lieber legt er sich davor und guckt anderen beim Hoch- und Runtersteigen zu. Ich muss mir also keine Sorgen machen, dass der Zosse sich die Haxen bricht.
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Denkste. Ich telefoniere im Büro. Plötzlich höre ich schweres Schnaufen an meinem linken Ohr. Die Kundschaft kann es nicht sein, die spricht ins rechte. Ich drehe mich um und gucke in das strahlende Gesicht eines unverbesserlichen, hovawartschen Neugierspinsels.
Auf diese große Freude folgt umgehend die Erkenntnis: Hoch ist immer einfacher als runter. Denn runter will Aiko nicht mehr. Ich habe alles versucht. Locken mit Worten, locken mit leeren Versprechungen, locken mit Lunas lasziv schwingendem Hintern. Strammes Fußgehen im Büro und dann wie beiläufig die Treppe ins Visier nehmen hilft auch nicht. Aiko bockt und biegt ab. Selbst als jede Stufe mit Blutwurst gepflastert wird, kommt er über die erste nicht hinaus.
Nach einer Stunde fruchtlosen Säuselns und Kommandierens nehme ich den Bären auf den Arm und trage ihn hinunter. Er zappelt etwas. Ich habe „Rücken".
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Wir verabreden uns mit Lunas altem Freund Gobi im Stadtwald. Die beiden Rüden kommen gut miteinander aus. Am Weiher allerdings gibt es eine kurze Schlägerei. Es geht natürlich um die Frau, triefnass und sexy. Das Bemerkenswerte an dieser Situation: Luna stürzt sich sofort auf Gobi, obwohl sie ihn seit drei Jahren kennt, besser als Aiko. Aber Aiko ist nach nur einer Woche fest etabliert im Rudel – und wenn dem Rudel Ungemach droht, mein lieber Scholli! Ich rufe Madame energisch aus dem Getümmel. Die Herren beruhigen sich wieder. Man spaziert weiter.
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Aiko hat sich den Fuß vertreten. Der Tierarzt diagnostiziert eine leichte Verstauchung am Ellbogen- und am Handgelenk. Er soll sich etwas schonen. Ich untersage das Gartenhäuschentoben. Das stinkt den beiden ungemein.
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Aiko wiegt gar keinen Zentner, sondern nur vier Fünftel! 40,55 Kilo um genau zu sein. Beim Tierarzt steht eine Waage. Jetzt weiß ich also, warum er sich beim Treppentragen so leicht wie eine Tonne Federn anfühlt.
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„Rücken“ ist weg. Damit „Rücken“ nicht wiederkommt, liegt schräg über den beiden untersten Treppenstufen eine dicke Plastiktonne. Da steigen nur Zweibeiner drüber.
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Auch interessant: Wenn man mit zwei großen, dunklen Hunden unterwegs ist und diese ins Fuß nimmt, damit die Entgegenkommen-den keine Angst haben müssen, kriegen diese erst recht Angst.
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Zwei Wochen, zwei Hunde, zwei Erkenntnisse.
Erstens. Ich bin draußen viel strukturierter und kompromissloser unterwegs als sonst. Mit zwei Dickschädeln kann ich nicht diskutieren, sonst regiert das Chaos. Folglich kriegen die zwei immer klare Ansagen, wo es lang geht. Das hilft.
Zweitens. Phlegma siegt in der öffentlichen Wirkung. Die Leute sagen jetzt nicht mehr „Das ist aber eine biestige Hündin“, sondern „Das ist aber ein lieber Rüde“. Mein versautes Image erholt sich zusehends.
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Seit heute nachmittag ist Aiko wieder zu Hause. Wir Menschen vermissen ihn, Luna nicht. Sie hüpft vergnügt durchs Gelände. Endlich wieder mein Haus, mein Garten, mein Kofferraum, mein Fahrrad, meine Familie. Erst als wir gegen halb zwölf nachts noch mal in den Garten gehen und uns kein schnaufender Hovi begleitet, macht Madame ein langes Gesicht. Der versteckt sich ja gar nicht. Der ist ernsthaft weg.
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Kleiner Trost: 1:0! Wir sind im Achtelfinale.
© Michael Frey Dodillet | Die Krawallmaustagebücher 2010
5 Kommentare
AntwortenLöschenEVA
Ich sage mal wieder einfach nur Danke. Deine Geschichten sind toll geschrieben. Würdest du ein Buch schreiben ich würde es sofort kaufen.
Wünsche ein schönes Wochenende
Freitag, 25. Juni 2010 - 14:42
MENSCH
Im Frühjahr 2011 ist es soweit. Details folgen, sobald der Verlag mich endlich die Werbetrommel rühren lässt.
Freitag, 25. Juni 2010 - 15:35
ANONYMER BESUCHER
aiko kenne ich ja schon etwas länger über die blog-geschichten... und luna auch! aber dass die beiden sich kennen is ja toll!!!!!!
auch an dieser stelle wiedermal: ich liebe es, deine beiträge zu lesen! ich sitze regelmäßig vor dem bildschirm und schmunzle vor mich hin. bei diesem beitrag hier, habe ich tränen gelacht. :) :)
herrlich... einfach nur herrlich..... :)
viele grüße senden die hovawarthündin meggi und ihr frauchen tina :)
Donnerstag, 1. Juli 2010 - 15:40
ANONYMER BESUCHER
Beruhigt mich ja ungemein, dass es nur 40,55 Kilo waren, die da mein Bein rammeln wollten. Und dann noch deine dusselige Frage: „Was für´n Aftershave benutzt du denn?!“
;-)
Dienstag, 6. Juli 2010 - 17:34
MENSCH
Jil Sander Woman II ist einfach nicht die richtige After-Shave-Wahl, wenn man testosterongesteuerten Riesenrüden gegenübertritt. Aber auf mich hört ja keiner.
Dienstag, 6. Juli 2010 - 18:40
Habe meinem Göttergatten das rote Buch als Weihnachtsgeschenk gekauft, habs natürlich auch gelesen und verfolge gerade den Blog chronologisch von Anfang an. Hab schon bei anderen Beiträgen schallend gelacht, aber hier sind mir die Tränen übers Gesicht gelaufen.
AntwortenLöschenHerrlich - einfach nur herrlich
LG twinmama (mit Gina, Maunzer, Mann und twins)
Einfach klasse geschrieben. Kopfkino pur, und sehr unterhaltsam.
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