Dienstag, 2. Februar 2010

Wildschweinpantoffeln greifen an.




Es gibt heutzutage unzählige an den Haaren herbeigezogene Abkürzungen, die erklären sollen, warum die Kinder uns über den Kopf wachsen. Ich mache das jetzt auch. Mein Hund hat ADHS.


So ein gepflegtes Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom erleichtert das Leben ungemein. Ich muss mir weder einen Kopf um Erziehung noch um hundgerechten Zeitvertreib machen. Schuld sind immer die Umstände, oder besser noch: die anderen.

„Sie hat ADHS, wissen Sie, wenn ein Schub kommt, dann hört sie einfach nicht mehr so gut.“


„Das tut mir jetzt leid für ihren Mantel, aber meine kann sich beim Fußgehen nicht mehr so gut konzentrieren. ADHS, sagt der Arzt.“

Zum ersten Mal ist es mir wirklich beim Fußgehen aufgefallen. Madame trabt tapfer eine Weile am Knie, dann schiebt sich die Nase etwas nach vorn, fünf Zentimeter nur, gefolgt von einem hyperaktiven Schubs aus der Hinterngegend, und schwupp – schon läuft sie zehn Meter voraus. Sie hat vor lauter Konzentrationsschwäche glatt das Kommando vergessen. Räuspere ich mich, dreht sie sofort um und hopst freudig zurück an meine Seite. Mensch, denkt sie dann und haut sich vor die Stirn, das war ja Fuß!

Da mein Hund ansonsten sehr intelligent zu sein scheint, tippe ich auf ein organisches oder psychisches Problem. Der Pschyrembel rät zu ADHS. Ich nehme dankend an. Was bin ich unterwegs fein raus! Mit so einer schönen, gefährlichen Abkürzung lässt sich alles erklären. Eine gute Legende ist alles.

„Ich versuche mal, meinen Hund von Ihrem runterzurufen. Allerdings hat er ADHS und das Ritalin ist alle.“


„Mein Hund hat hyperaktive Aufmerksamkeitsdefizite. Sagen sie Ihrem, er soll nicht so gucken. Das macht meinen unverschuldet aggressiv.“


„Legen Sie das nächste Mal bitte die Jacke im Auto ab. Seit sie Medikamente nimmt, reagiert sie etwas gereizt auf dhl-gelb.“

Warum macht man monatelang Antijagdtraining an der Schleppleine, Bindungsvertiefung durch Handfütterung, Karnickeldesensibilisierung vor dem eigenen Hasenstall, Platzübungen vor aufspringendem Damwild, strategische Routenführung zur Vermeidung jeglichen selbstbelohnenden Jagderfolgs, WENN DAS BLÖDE MISTVIEH NACHTS UM HALB 11 NUR MAL KURZ RAUS IN DEN GARTEN ZU LAUFEN BRAUCHT, UM SICH MIT EINEM FUCHS ZU PRÜGELN!?

Schuld sind immer die anderen. Welcher Depp hat die Terrassentür aufgemacht? Weshalb kommt der Fuchs überhaupt in den Garten? Warum glotzt er in den Karnickelstall als würde da eine Kochsendung ausgestrahlt? Wieso lässt sich der Blödmann erwischen?

Die Schlägerei dauert ganze fünf Minuten. Die Kontrahenten balgen einmal quer über die Schafweide und weichen gekonnt dem 2-beinigen Deppen aus, der in Trennungsabsicht und Birkenstocks durch den Tiefschnee stolpert. „Böh, der schon wieder, komm, lass uns in den Brombeeren weitermachen.“

Verletzt wurde außer meinem Stolz keiner. Reineke und Krawallmaus haben kein Blut vergossen. Allerdings wird der feine Fuchsgeschmack auf den Lefzen die sorgsam eingedämmte Jagdleidenschaft aufs Neue wecken. Luna wird die nächste Zeit nur noch vibrierend mit mir spazieren gehen. Aber Gott sei Dank, wir haben ja ADHS.

„Die jagt nicht, Herr Förster, die ist nur hyperaktiv.“


„Das meint sie nicht böse. Sie hat ein unheilbares Syndrom.“


„Der Hund kann nichts dafür. Er hat ADHS und meine jüngste Tochter trägt Wildschweinpantoffeln.“

Das ist überhaupt die Idee. Meine Jüngste ist schuld! Und der Coop in Visp, Wallis, Schweiz mit seinem Wildschweinpantoffel-Sonderangebot für 14 Franken 90. Da nützt doch exzessivstes Antijagdtraining nichts, wenn der Hund zu Hause von freilaufenden Wildschweinpantoffeln bis aufs Blut gereizt wird!






Die Natur ist saugefährlich.






© Michael Frey Dodillet | Die Krawallmaustagebücher 2010

1 Kommentar:

  1. 5 Kommentare

    ANONYMER BESUCHER
    Hallo Luna - sag´jetzt bitte kein Wort - finde dich damit ab, dass es mir total schlecht geht, nur um es auf den Punkt zu bringen. Ich bin weder zu weiteren Tobespielchen mit dir bereit noch lasse ich mich durch deinen Duft verrückt machen. Du bist ADHSlerin und die stehen in der Öffentlichkeit unter Naturschutz - darauf nehme ich Rücksicht - es hat wieder einmal meiner zweibeinigen Lappentopftipperin einen Riesespaß gemacht endlich mal wieder aus dem Vollen zu schöpfen. Herrlich Luna - mit dir will ich ........
    Wuff und LG
    Aiko die Monsterbacke
    Dienstag, 2. Februar 2010 - 15:45

    NALAMERLIN
    Also, wenn ich das Bild so anschau und dann den Blick über meinen friedlich pennenden Krawallhund (ich tippe ebenfalls auf ADHS...)schweifen lasse, dann bin ich mir doch nahezu sicher, den Schlawinervater von Luna in der Rasse klar eingrenzen zu können....
    Die charakterliche und (zumindest am Kopf) auch optische Ähnlichkeit ist derart verblüffend...:-D

    lg
    Mittwoch, 3. Februar 2010 - 08:05

    MENSCH
    @Nalamerlin

    Ich vermute das auch. Zumal unser Hund im Haus mit Ruhe, Langmut, Geduld und einer immens hohen Reizschwelle gesegnet ist, das kann eigentlich nur aus dieser Richtung kommen. Draußen ganz die Mama, drinnen ganz der Papa – so kann man seine Persönlichkeit natürlich auch spalten.
    Mittwoch, 3. Februar 2010 - 09:26

    ANGELA SCHAEFER
    ADHS?
    Auch nicht schlecht!
    Unserer hat DHL (Dangerous Human Lacerater). Macht sich immer dann bemerkbar, wenn der Paketbote an der Haustür klingelt. Besonders praktisch: Da steht sogar DHL drauf, damit der Hund weiß, wo er reinbeißen muss...

    LG

    (Für alle Blogleser die das Leben ernster nehmen als ich meine Zeilen: die will bloß spielen!)
    Freitag, 5. Februar 2010 - 16:19

    MENSCH
    Liebe Angela, ich finde es toll, dass Anton auch eine schlimme Abkürzung hat. Lass uns eine Selbsthilfegruppe gründen – eine SHG, wie wir Fachleute sagen.
    Freitag, 5. Februar 2010 - 19:50

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